Arbeitsmarkt Ost driftet ab

In den neuen Ländern sinkt die Zahl der Erwerbstätigen unter die Sechs-Millionen-Grenze. Lage auf dem Ausbildungsmarkt nennt Arbeitsamtschef „angespannt“  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

„In den alten Ländern machte die Besserung weitere Fortschritte, in den neuen hat die Verschlechterung angehalten.“ So lautet das Fazit des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit (BA), Bernhard Jagoda, aus den neuesten Arbeitsmarktdaten. Während die Arbeitslosigkeit im Westen mit 3,075 Millionen um 35.700 unter dem Vorjahresstand rangiert, bedeuten 1,55 Millionen Arbeitslose im Osten einen Zuwachs von 181.900 gegenüber dem März vorigen Jahres. Die Arbeitslosenquote in den neuen Ländern ist mit 20,6 Prozent nun mehr als doppelt so hoch wie in den alten (10 Prozent).

Wie Ost und West auseinanderdriften, zeigt deutlich die Entwicklung der Erwerbstätigenzahl. Nach Schätzungen des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden waren Ende Januar im gesamten Bundesgebiet 33,53 Millionen Erwerbstätige gemeldet. Das sind 140.000 weniger als vor einem Jahr. Dieses Minus geht ausschließlich auf das Konto der neuen Länder. Dort wird die Beschäftigung auf 5,885 Millionen geschätzt. Die Sechs- Millionen-Grenze wurde bislang erstmals im Februar 1997 unterschritten. Damals zählten die Statistiker 5,996 Millionen Erwerbstätige in den neuen Ländern.

Den Rückgang der Arbeitslosenzahlen gegenüber dem Vormonat um 139.100 in den alten und 56.900 in den neuen Ländern nannte BA-Präsident Jagoda „unerwartet stark“. Von einer Trendwende zu sprechen, hält er jedoch erst dann für gerechtfertigt, wenn die gesamtdeutschen Arbeitslosenzahlen mindestens drei Monate lang unter dem jeweiligen Vorjahresniveau lägen.

Wie in den vergangenen Jahren nutzte Jagoda die Monatspressekonferenz zu einer Halbjahresbilanz des Ausbildungsstellenmarktes. Ende März waren mit 375.500 Jugendlichen zwei Prozent mehr als vor Jahresfrist noch nicht vermittelt. Ihnen standen 185.500 noch nicht besetzte Ausbildungsplätze gegenüber, also drei Prozent weniger als vor einem Jahr. Aufgrund jahrzehntelanger Erfahrungswerte kommt Jagoda zu dem Schluß, daß „mindestens 30.000 betriebliche Ausbildungsstellen mehr als 1997“ gebraucht werden, um allen Bewerbern ein Angebot machen zu können. „Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt ist also nach wie vor angespannt“, antwortete er dem Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstages, Hans Peter Stihl. Der hatte der BA letzte Woche vorgeworfen, sie liefere „unseriöse Horrorzahlen“ über Jugendliche ohne Lehrstelle.

Den Vorwurf des CSU-Generalsekretärs Bernd Protzner, die Arbeitsämter vermittelten zu wenig, hielten offene Stellen „bewußt zurück“ und würden so einen „Sockel an Arbeitslosigkeit systematisch aufbauen“, konterte der BA-Präsident mit konkreten Zahlen. Mit insgesamt 307.855 Vermittlungen im März seien die Zahlen des Vormonats um 71.000 und die des Vorjahres um 7.400 übertroffen worden. In Ost und West zeige zudem der gestiegene Anteil der der Bundesanstalt gemeldeten offenen Stellen an den Stellenangeboten insgesamt, daß die Arbeitsämter „zunehmend eingeschaltet“ würden. „Wir sind unserem Ziel, der Wirtschaft ein immer besserer Partner zu werden, wieder ein Stück nähergekommen“, wies Jagoda Protzners Lobrede auf die Leistungen der privaten Arbeitsvermittler zurück. Kommentar Seite 12