Für Arbeit, gegen Zwangsarbeit

In Schottland haben sich Arbeitslose aus 14 europäischen Ländern zu einer Konferenz getroffen. Sie kritisieren Tony Blair und wollen kürzere Wochenarbeitszeit  ■ Aus Glasgow Ralf Sotscheck

120 Delegierte aus 14 europäischen Ländern und keine einzige Wortmeldung. Der Diskussionsleiterin platzte der Kragen. „Das ist eure Konferenz“, rief sie, „und ihr müßt darüber reden, was ihr gegen das Problem unternehmen wollt.“ Das Problem, um das es bei der fünftägigen Konferenz in der Caledonian University von Glasgow ging, ist Arbeitslosigkeit. Eingeladen hatte das European Network of the Unemployed (ENU), finanziert wurde das Treffen von der Europäischen Kommission. Es war ein bunter Haufen, der in Schottland zusammengekommen war, vom jungen Spanier mit Pferdeschwanz und Palästinensertuch bis zur grauhaarigen Finnin im Tweedkostüm. Das zeige, meinte ein Delegierter, daß die Arbeitslosigkeit immer breitere Schichten der Bevölkerung treffe.

Wichtigstes Ergebnis der Konferenz, die Montag abend zu Ende ging, sei das Bekenntnis zu Aktionen, sagte ENU-Präsident Klaus Grehn, der auch Präsident des Arbeitslosenverbands Deutschland ist: „Wir müssen kämpfen.“

Für den 8. Mai ist ein Aktionstag entlang der deutsch-französischen Grenze geplant, Einzelheiten wollte man noch nicht bekanntgeben. Weitere Aktionsdaten für die kommenden anderthalb Jahre sind die Europäischen Gipfel in Cardiff, Wien und Köln. Aktionen liegen eigentlich nicht in der Tradition der ENU, sagte Christophe Aguiton von der französischen Delegation. „Das ändert sich aber, seit Frankreich und Deutschland eine entscheidende Rolle in der ENU spielen.“

Vollbeschäftigung sei machbar, glaubt die ENU — freilich nur bei einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Die Antworten der Politiker dazu seien nebulös, monierte Grehn – der Europaabgeordnete Bill Miller und der britische Europaminister Douglas Henderson, die am Montag eine Stippvisite machten, mußten sich angesprochen fühlen. Ihre Reden auf der Konferenz waren verblüffend frei von Inhalten.

Henderson wies lediglich kurz auf das britische Modell hin: Welfare to Work, so heißt das Zauberwort, dessen erste Phase — „A New Deal“ — am Montag nachmittag mit großem Getöse in verschiedenen britischen Städten vorgestellt wurde. Das Programm sieht vor, daß junge Arbeitslose zwischen 18 und 24 Jahren einen mit 60 Pfund pro Woche subventionierten Job annehmen, sechs Monate im Wohlfahrts- oder Umweltsektor arbeiten oder eine zwölfmonatige Ausbildung antreten müssen. Lehnen sie ab, wird ihnen die Sozialhilfe drastisch gekürzt. Im Juni soll das Programm auf Langzeitarbeitslose ausgedehnt werden. Kritiker befürchten, daß Firmen die subventionierten Arbeitsplätze benutzen, um reguläre Jobs abzubauen.

Mitten in die New-Deal-Fete in Glasgow platzte die Nachricht, daß Mitsubishi sein schottisches Werk dichtmacht und der Elektronikkonzern Fullarton die Produktion in Schottland einschrumpft — 850 Jobs sind futsch.

„Einige Menschen mögen von dem Labour-Programm profitieren“, räumte Paul Skirrow aus Liverpool auf der Arbeitslosenkonferenz ein, „aber ideologisch ist die Sache höchst suspekt. Die Arbeitslosen werden auf zynische Weise zur Inflationsbekämpfung mißbraucht.“ Indem man Arbeitslosen Fortbildungskurse anbiete, verschärfe man den Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt und halte die Löhne niedrig, sagte Skirrow: „Neue Jobs werden dadurch nicht geschaffen. In Liverpool gibt es einen Arbeitsplatz für 15 Bewerber.“ Peter Reiss-Eichinger vom österreichischen Verband drückte es deutlicher aus: „Ein Programm zur Zwangsarbeit.“

Die EU-Kommission hätte gern ein Frühwarnsystem, um bei einer Fabrikschließung zu ermitteln, wie viele der Entlassenen auch langfristig keine neue Arbeit finden werden. Weil die Kommission die Konferenz finanziert hatte, stand der Punkt auf der Tagesordnung, obwohl man ihn für überflüssig hielt. „Die Antwort ist auch ohne große Analyse klar“, sagte Grehn. „Frauen, Behinderte, Ausländer, gering Qualifizierte und Menschen über 45.“ Inzwischen sei eine neue Gruppe hinzugekommen: hochqualifizierte junge Leute. In Finnland seien zum Beispiel 65 Prozent der Architekten nach der Ausbildung arbeitslos, in Deutschland werden im Jahr 2000 nur noch 25 Prozent der Juristen einen Job finden. „Was nützt ein Frühwarnsystem“, fragt Grehn, „wenn es keine Stellen gibt? Das dient doch nur dazu, dem Individuum die Schuld zuzuschieben.“

Viel bedeutender sei ein Frühwarnsystem für die Arbeitslosengruppen, meinte Paul Skirrow: „Wenn eine Regierung irgend etwas ausheckt, das zumindest kosmetische Verbesserungen verspricht, wie Labours New Deal, dann werden es andere Regierungen übernehmen. In Schweden ist das bereits geplant. Deshalb ist der Erfahrungsaustausch auf solchen Konferenzen für uns so wichtig.“

Die Teilnehmerinnen mußten auf der Glagower Konferenz wieder mal ihre eigenen Erfahrungen machen. Wie schon beim letzten Treffen im irischen Ennis mußte die Frauengruppe in einem Nebenraum ohne DolmetscherInnen tagen. In einer Resolution forderten sie, „Frauen und Arbeitslosigkeit“ zu einem Hauptthema der nächsten Konferenz in Frankreich zu machen. Während die Frauengruppe tagt, sollen die Männer dann dieselben Themen diskutieren. „Sie haben ja recht“, sagte Klaus Grehn, „aber auch die Länder, aus denen die lauteste Kritik kam, schicken keine Frauen in das Leitungsgremium.“ Die einzige Frau in diesem Gremium hat am Sonntag wegen Schwangerschaft nicht mehr kandidiert. Jetzt sitzen nur noch Männer auf dem Podium.