■ Daumenkino
: Lieber singen!

Man stelle sich vor, mitten in einem deutschsprachigen Spielfilm finge Katja Riemann auf einmal mit Katja Ebsteins Stimme an zu singen „Wunder gibt es immer wieder“. Oder Til Schweiger piepste plötzlich wie Anita „Schön ist es, auf der Welt zu sein“. Unmöglich? Grausam? Genau. Doch was hier einzig als Travestie à la Walther Bockmayer zu genießen wäre, ist in Frankreich zur Erfolgskomödie geworden. „On connait la chanson“ zählt dort zu den erfolgreichsten Filmen des Jahres (siehe taz vom 17. Februar).

Der inzwischen 76jährige Alain Resnais, schon lange ein Liebhaber popästhetischer Verfremdungen, hat seinen neuesten Zwei-Stunden-Streifen mit drei Dutzend flotten Chansonhäppchen versetzt. Von Arletty über Sheila (später B. Devotion) bis zu Telephone ist alles vertreten, was den Drehbuchautoren und Hauptdarstellern Jean Pierre Bacri und Agnes Jaoui gerade gelegen kam. Die Musik ist hier nicht Showeinlage, sondern affektive Ausdrucksform der Filmhelden. Wo Eric Rohmers Protagonisten sich stets immer tiefer in die Bredouille quasseln, da suchen Resnais' Figuren Zuflucht beim Chanson. Denn es gibt keine Gefühlslage, die sich nicht durch einen Refrain auf den Punkt bringen ließe.

Als Exportfilm dürfte es „Das Leben ist ein Chanson“ freilich schwerer haben. Seinen ganzen Witz offenbart der Film ohnehin erst demjenigen, der die verwendeten Lieder kennt. Natürlich ist es verblüffend, wenn ein deutscher Nazifunktionär im besetzten Paris mit glockenheller Frauenstimme loszwitschert: „Ich habe zwei Geliebte: mein Land und Paris!“ Formidabel findet man diese Szene aber nur, wenn man weiß, daß die Stimme der kaffeebraunen Amerikanerin Josephine Baker gehört.

Obgleich der deutsche Schlager weit weniger komplex in der Ausarbeitung emotionaler Verfaßtheit ist und es den deutschen Komödiendarstellern am gebotenen Ernst fehlt, könnte Resnais zu einer Wunschliste anregen: Susanne Lothar singt Peggy Marchs „Du – mach mich nicht an“, Stefan Kurt singt Zarah Leanders „Mich hat die Welt kaltgestellt“, und Gerda Gmelin singt „Nimm dir nie ein Teufelsweib“. Reinhard Krause

„Das Leben ist ein Chanson“. Regie: Alain Resnais, Frankreich 1997, 120 Min.