Ostern ohne Neshe

16jährige Kurdin war vorigen Sommer abgeschoben worden. Regierungspräsidium lehnte Besuchsantrag ab  ■ Von Heide Platen

Kein Osterspaziergang mit dem Bruder, kein Osterbesuch für Neshe Özman bei ihrer ehemaligen Schulklasse in Heidelberg. Das hat das Regierungspräsidium in Karlsruhe vergangene Woche entschieden. Die 16jährige Kurdin muß weiter draußen bleiben, in Ankara in der Warteschleife. Neshe Özman war im Juli 1997 in die Türkei abgeschoben worden. Auch eine Petition im Landtag hatte daran nichts ändern können. Das Präsidium Karlsruhe hatte damals argumentiert, das Mädchen könne seinen Lebensunterhalt auch in der Türkei bestreiten. Nun lehnte es den Antrag auf ein Besuchervisum mit dem Argument ab, daß Neshe Özman eben dies nicht könne, in der Türkei keine Perspektive habe und deshalb der Verdacht bestehe, daß sie in der Bundesrepublik nicht nur für einen kurzen Besuch bleiben wolle.

Neshe Özman lebt seit einem halben Jahr provisorisch bei einer Gastfamilie in Ankara. Mit Hilfe zweier FDP-naher Stiftungen darf sie dort vorerst die deutsche Botschaftsschule besuchen. Ihre Betreuer berichteten, daß das Mädchen sich immer mehr zurückziehe und immer depressiver werde. Sie sei „ihrer türkischen Kultur entfremdet“ und habe „nur einen Gedanken: zurück nach Deutschland!“

In ihren Heimatort Cizre im umkämpften kurdischen Krisengebiet kann sie nicht zurückkehren, der Vater wurde noch vor ihrer Geburt erschossen, die Mutter ist gelähmt. Seither ist der in Deutschland lebende Bruder das Familienoberhaupt. Ein Onkel in Cizre ist arm, versorgt selbst zwei Frauen, acht Kinder, die Großtante und eine Schwester. Er könne Neshe, ließ er telefonisch wissen, auf keinen Fall aufnehmen. Das Mädchen hat seit neun Monaten keinen Kontakt mehr zur Familie. Außerdem fürchtet sie Verfolgung, weil ihr Bruder in der Türkei gefoltert wurde und in Heidelberg als Asylberechtigter anerkannt ist. Bei ihm hatte sie vor ihrer Ausweisung drei Jahre lang gewohnt, keine Sozialhilfe in Anspruch genommen und auch schon eine Lehrstelle als Zahnarzthelferin in Aussicht gehabt. Lehrer und Schüler der Heidelberger Internationalen Gesamtschule hatten das Mädchen nun eingeladen und sich verpflichtet, für die Kosten aufzukommen. Oberbürgermeisterin Beate Weber (SPD) versicherte, daß die Ausländerbehörde der Stadt bereit sei zuzustimmen. Nicht so Innenminister Thomas Schäuble (CDU), der den Fall Neshe Özman schon im Januar zur Chefsache machte. Er hatte damals erklärt, sie dürfe zwar nicht ganz zurückkehren, aber jederzeit mit einem Touristenvisum einreisen, wenn sie glaubhaft versichere, die Bundesrepublik auch wieder verlassen zu wollen. FDP und Republikaner hatten diesem Junktim im Petitionsausschuß mehrmals zugestimmt. Auf die Frage, nach welchen Kriterien das Visum nun verweigert und Glaubwürdig- und Ausreisewilligkeit bewertet werden, hat Rechtsanwalt Berthold Münch bisher keine Antwort bekommen. Münch: „Das ist mies. Wir werden den Kurzbesuch nicht ausnutzen, um uns den Aufenthalt zu erschwindeln.“ Er klagt für Neshe derzeit in drei Verwaltungsgerichtsverfahren. Außerdem liegt ein Antrag zur Beratung im Petitionsausschuß des Bundestages vor. Die Grünen werfen den Behörden vor, daß die Abschiebung der Minderjährigen von Anfang an nicht rechtens gewesen sei, der Innenminister aber „nicht sein Gesicht verlieren und die CDU Härte zeigen möchte“.

Neshe war am 9. Juli 1997 morgens aus dem Bett geholt und in Frankfurt in ein Flugzeug gesetzt worden. Beim ersten Versuch wehrte sie sich so heftig, daß der Pilot sich weigerte, sie mitzunehmen. Gegen ihre Abschiebung hatten immer wieder Lehrer, MitschülerInnen und ein Freundeskreis protestiert. Ihr Mathematiklehrer Gerd Jünger: „Die wollen nur die Zähne zeigen, aber das können wir auch.“