"Ich liebe Schwärze"

■ Die Polit-Kabarettistin Gisela Oechelhaeuser zur "Distel"-Premiere und warum sie zu Ostern natürlich an Tilman Riemenschneider denkt

Ihr neues Programm heißt „Alle Brüder werden Menschen“. Wie gebildet muß Ihr Publikum denn sein?

Gisela Oechelhaeuser: Alle kennen die Neunte, und wenn es von Herrn Clayderman ist. Auf jeden Fall aber von Silvester. Silvester ist ja, wo man sich was Gutes vornimmt. Alle Leute kriegen feuchte Augen. An diesem einen Abend. Das hält nicht lange, aber ist ein richtiger Topos. Ein kultureller Topos. Rechtsradikale sagen, ich bin stolz darauf, ein Deutscher zu sein, und wenn Sie sie dann fragen, warum: Weil sie Goethe haben. Es gibt eben diese Topoi.

In Ihren Programmen überrascht oft eine schwarze, spitze Pointe aus der Schunkelgemütlichkeit oder dem gerührten „hohen Ton“.

Es ist die Schwärze, die ich besonders liebe. Weil wir ja im Grunde genommen zu den Gutmenschen gehören, die solche Sachen „eigentlich“ nicht sagen, z.B. von Ignatz Bubis, der „als Jude“ prämiert wird, von dem Feindbild, das wir uns endlich wieder wünschen... Man kann die Leute nur fassen, wenn man die Dinge in die eigene Erfahrung hineinholt, dann ertappen sie sich in ihrer Ähnlichkeit zu dem Denken, über das sie auf der Bühne gerade lachen.

Schuld sind dann der Rechtsradikalismus, die Arbeitslosigkeit, die doofen Sachsen, die Russenmafia, der Alkohol?

Die Existenz ohne Buhmann ist offensichtlich eine ziemlich schwere. Die Leute wollen entlastet sein. Das hängt mit der Sehnsucht zusammen, daß jeder Mensch für sein Versagen einen Grund haben möchte. Der Grund möge bitte nicht in ihm selber sein.

Ist die „Distel“ aus der Friedrichstraße, diesem Nabelpunkt deutsch-deutscher Trennung, inzwischen ein Kabarett für Ost und West?

Wir haben immer Deutschland aus der Sicht der Ostdeutschen reflektiert, weil wir keine andere Herkunft haben. Wir haben ein System stürzen sehen und blicken nun doch sehr kühl auf dieses neue System, das uns im Grunde so viele Vorteile gebracht hat, aber auch die Axiome von Arm und Reich. Den Westlern wiederum fällt es schwer zu sehen, daß diese verlachte, beschissene DDR als Korrektiv ihres eigenen Überlegenheitsverständnisses so notwendig war. Unser Blick hat nichts mit Nostalgie, sondern mit Herkunft zu tun. So, wie Gerhard Polt immer ein Bayer bleibt

Gehen Sie Ostern zur Kirche?

Ich gehe eigentlich nur zur Johannespassion in die Kirche. Oder hör' sie mir in der Philharmonie an. Wenn Sie an Ostern denken, die Geschichte dieses Verrates; der Tilman Riemenschneider hat das in Rothenburg an einem Altar gezeigt – eine wirkliche Menschheitserfahrung. Da ist also der Palmsonntag gestaltet: Die Leute rufen und winken, und es quillt und quillt, das kleine Tor will die begeisterte Masse nicht fassen. Und im rechten Altarflügel dann der Garten Gethsemane, Jesus allein – Herr, warum muß ich das alles aushalten –, und dieselben Leute gucken durch das Tor und über die Mauer, wie er sich wohl verhält, ob er noch der große Held ist. Also so was von Kälte, ich denke, so ist es am Ende dem Che Guevara in Bolivien gegangen...

Wie kamen Sie als christliche Sozialistin und ordentliche Pfarrerstochter durch die DDR?

Ich habe meinen Sohn Sebastian damals noch taufen lassen. Das fand ich kulturell wichtig. Dann bin ich – ohne äußeren Druck – aus der Kirche ausgetreten. Ich frage mich heute natürlich, warum habe ich nicht Kontakte zu Leuten wie Schorlemmer gesucht, die kraft ihres Glaubens so Vernünftiges gelebt haben, einen Sozialismus, nach meinem Verständnis viel, viel stärker als große Teile der SED.

Stichwort: Desillusionierung; welches Bild vom Menschen mache ich mir?

Meine Mutter, die Pastorin, sagte immer: Giselchen, das ist nun dein realistisches Menschenbild? Zum Beispiel David, den die 68iger ja alle ganz toll fanden. David war der Vietcong und Goliath waren die Amis... Im Alten Testament steht: Der David hat gesiegt, wird der richtig gute König. Und das erste, was von ihm berichtet wird: Er sieht Bathseba am Brunnen, wird gierig und geil auf das Weib, kriegt raus, wer ihr Mann ist, schickt ihn an die Front, damit der umkommt und er sie ins Bett kriegt. Man kann eigentlich nur Schiffbruch erleiden, wenn man so leichtfertig sagt: „Man muß nur die Verhältnisse ändern, dann ändert man den Menschen.“ Die konstituierenden Wurzeln von Verkommenheit am Menschen, also eigentlich zu jeder Untat fähig zu sein, das halte ich für ein realistisches Menschenbild.

Geben Sie trotzdem eine aktuelle politische Empfehlung ?

Selbstverständlich. Wir sagen in dem neuen Programm: Wechsel ja, dringendst, aber bitte ohne Illusionen. Lauschangriff und Asylpolitik wären ja ohne die SPD nicht zu machen gewesen. Und was die Grünen betrifft: Wenn sie es nicht für nötig halten als Partei, ihre langfristigen Strategien, die ich außerordentlich sympathisch finde, so zu vermitteln, daß man sie auch wählen kann – dann ist das derselbe Scheißzynismus, wie wenn Kohl sagt: „Unsre Menschen draußen im Lande...“ Interview: Sabine Zurmühl

Sabine Zurmühl, Fernsehjournalistin, früher Courage, lebt in Berlin