Der Drache hat es den Ratten angetan

■ Drei Fantasybücher, die auf die unterschiedlichste Weise die Gegenwart in ihre Geschichten einbeziehen. Jeder Autor versucht auf seine Art, dem Guten zum Sieg zu verhelfen.

In der Abtei Redwall leben die Mäuse zusammen mit vielen anderen Tieren in Frieden und Eintracht. So gehört sich das auch für eine reiche Abtei. Doch eines Tages, während ein fröhliges Freßgelage gefeiert wird, taucht der schreckliche Cluny mit seiner Rattenhorde in der Gegend auf und verbreitet Angst und Schrecken. Näher und näher rückt er der Abtei, die er im Sturm nehmen will. Brian Jacques bietet uns die einhundertste Variante des Themas „Die Hunnen kommen“. Marodierende Ratten als Synonym für das Böse sind bei ihm der letzte Schrei. Dagegen kann natürlich nur ein reiner Held bestehen. Ein Held, der das Gute verkörpert. Und da wir ja alle wissen, das Gute siegt in der Kinderliteratur immer, hat uns der Verlag gleich einen zweiten Band angedroht.

In der Gefahr braucht auch die friedliebendste Gesellschaft einen Führer, der die Waffen in die Hand nimmt und die Massen hinter sich versammelt. Dieser Führer erwächst aus einem – wie könnnte es anders sein – tollpatschigen kleinen Mäuschen, das seine Berufung erkennt und sich auf die Suche nach der Wunderwaffe macht. Das Buch ist spannend geschrieben, manche Passagen fesseln sogar. Die Typisierung der Fabeltiere – Fuchs hinterlistig, Spatz aggressiv etc. – ist einfallslos und dümmlich.

Brian Jacques: „Redwall. Der Sturm auf die Abtei“. Ab 10, Thienemann, 34 DM.

Vorwärts, Drachenreiter

Von den Fabelwesen führt uns die Erfolgsautorin des Dressler-Verlages, Cornelia Funke, mit ihrem „Drachenreiter“ zum Fantastischen. Scheinbar mühelos gelingt ihr die Verknüpfung von Menschen-, Tier- und Fantasywelt. Auf leichten Schwingen entführt sie die LeserInnen gemeinsam mit dem Drachen Lung, dem Waisenjungen Ben und dem Koboldmädchen Schwefelfell zum sagenumwobenen Saum des Himmels. Unaufdringlich erfahren wir auf der weiten Reise von Irland über Nordafrika nach Indien zum Himalaja von Naturzerstörung und Krieg in der realen Welt.

Die Ratten sind in diesem Roman wirkungsvolle Helfer, die aufgrund ihrer weltweiten verwandtschaftlichen Beziehungen viel zum Gelingen des Unternehmens „Rückkehr ins gelobte Drachenland“ beitragen. Gut ist die Darstellung der Wandlung des kleinen Spions des Bösen und Homunkulus Fliegenbein; seine Charakterisierung, die Darstellung seiner Nöte und seiner Entwicklung setzen sich wohltuend von den schriftstellerischen Plattheiten eines Brian Jacques ab.

Cornelia Funke: „Drachenreiter“. Ab 12, Dressler, 29,80 DM.

Einmal Berlin, Quassinja und zurück

Einmal reale Welt, einmal fantastische Welt und zurück. Als Tür zwischen den Welten dient das Ischtar-Tor im Pergamonmuseum zu Berlin. Es ist schon erstaunlich, welche Dramatik man solch einem Museum entlocken kann. Jessica und Oliver vergessen plötzlich alle Erinnerung an ihren Vater. Auf der Suche nach ihrem Gedächtnis kommen sie einer Verschwörung auf die Spur. Xexano, der Herrscher über Quasinja, das Reich der verlorenen Erinnerungen, bereitet mit menschlichen Komplizen seine Machtübernahme in der realen Welt vor.

Ralf Isau hat schon eine gute Schreibe. Das Buch hat mich gefesselt, und man merkt in vielen Details, daß er Computerfachmann ist. Etwas gewollt und mit erhobenen Zeigefinger kommen seine realpolitischen Einschübe – wie DDR-Unrecht, Antisemitismus und Revisionismus im vereinten Deutschland – daher. Sie wirken sprachlich zu aufgesetzt, als daß sie sich hundertprozentig mit den fantastischen Elementen, die uns in die Vergangenheit des Zweistromlandes führen, verwöben.

Ralf Isau: „Das Museum der gestohlenen Erinnerungen“. Ab 13, Thienemann, 39 DM. Peter Huth