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■ NachschlagKrampfiges Kunstwollen – „Styx II“ im Theater am Halleschen Ufer

Der lange Tisch vorne und der gerasterte Fußboden dahinter: Ein wenig Renaissance-Perspektive und Abendmahlsstimmung birgt die Bühne schon, wenn Ursula Raffalt-Mawson, Performerin aus Österreich, zu Beginn Zitronensaft über fünf Sardinen spritzt und sie in die erste Reihe weiterreicht. Die Musik von Monteverdis Oper „La Orfeo“ stimmt feierlich, hübsch bunt ist das Licht von Anthony J. Faulder-Mawson. Doch mit angestrengtem Kunstwollen verspielt das Paar seine wenigen Trümpfe.

Mit abgespreizten Fingern greift Ursula Raffalt-Mawson im schmalen schwarzen Kleid nach dem Mikrofon, bringt jedes Wort ihrer englischen und deutschen Sätze wie eine schmerzhafte Geburt hervor, ringt sich das Sprechen mühsam ab. Nur Stichworte sind zu verstehen, bedeutungsschwanger, von Tod, Gift, Prostitution und einem weiblichen Orfeus. Man ahnt es bald: Ganz persönlich wird der Mythos von „Orfeus und Eurydike“ interpretiert.

Jede Geste, jede Bewegung: ein Ritual, heilige Handlung, innere Wandlung. Die schwer erträgliche Selbstbeweihräucherung des Künstlerpaares beginnt schon im Programmheft mit einer mehrseitigen Legende zur Werkentstehung, Probenzeiten in Abend- und Morgendämmerung, Aufführungen an historisch bedeutsamen Orten, bei Mondlicht und vor ausgewähltem Publikum. So bastelt man an den Mythen des Authentischen. Im übrigen schreckt das Heft mit stilistischen Monstern wie: „Ein kreativer Prozess vervollständigt, beschreibt die Gestalt der Figur ,unendlich' eine verbindende Gratwanderung, über Rückkoppelung von Loslösung (u.m-r).“ Oder ist dieser Humbug Ergebnis der „Zufallsoperationen“, die Anthony seit fast 30 Jahren als „organisierende Prinzipien“ seiner Arbeit gebraucht?

Kurz, diese kapriziösen Rätsel locken nicht, sich auf Unbekanntes einzulassen. Das den Berliner Kunstschaffenden verpflichtete Theater am Halleschen Ufer hat sich bei der Buchung dieser Uraufführung wohl von der Vielfalt der Grenzüberschreitungen blenden lassen. Vielleicht haben sie sich auch etwas anderes von Anthonys „speziell mittels Gebrauch von Renaissance Technik angefertigten Bilder“ erwartet, „als bisschen Schamhaar unten und mehr abstrakt oben“? Mit einer Diashow dieser Malereien endet der Abend. Katrin Bettina Müller

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