Vergnügte Freigänger in der Wirklichkeit

■ Der Computer darf nicht im Zentrum der Animation stehen. Nur wenn er Werkzeug ist, überzeugt das Ergebnis: Rückblick auf das Internationale Stuttgarter Trickfilmfestival

Internationales Trickfilmfestival in Stuttgart, am Nachmittag vor den Abschlußfeierlichkeiten: Im hölzernen „Spiegelzelt“, dem gastronomisch zu Recht umstrittenen Mittelpunkt der Veranstaltung, herrscht Ruhe und Gelassenheit. Zwar füllt ein Nürnberger Besuchertrio gerade selbstgebastelte Wettscheine aus und versucht vorauszusagen, welche Filmemacher bald einen der mit 15.000 Mark dotierten Preise erhalten werden, doch diese Beschäftigung entspringt eindeutig einem rein sportlichen Interesse. Die persönlichen Favoriten sind längst gefunden; der Kompromiß einer aus sehr unterschiedlichen Animationsfilmern zusammengesetzten Jury ist allenfalls ein reizvolles Ratespiel.

In einer Ecke gönnt sich eine Animatorennachwuchsgruppe eine Runde Sekt: die in Frankreich lebende deutsche Acrylmalerin Solweig von Kleist, die mit „Le roman de mon Ûme“ einen angenehm unverstellten Rückblick auf ein weibliches Liebeslieben in Szene gesetzt hat; Mike Booth aus Bristol, Regisseur eines Puppenfilms über ein himmlisches Kontrollorgan („The Saint Inspector“); Adam Benjamin Elliot („Uncle“), australischer Knet-Chronist seiner überaus onkelreichen Familie. Mit von der Partie ist außerdem die französische Studentin Marie Paccu, die als einzige später einen Preis erhalten wird, den Mercedes- Benz-Förderpreis, und vermutlich schon davon weiß, sich jedoch nichts anmerken läßt – noch sprechen diese jungen Filmemacher nicht über Schecks, die ihren nächsten Film wenigstens an den Start bringen könnten, sondern kichern über ihre Eindrücke vom Lady-Di- Begräbnis und vergleichen schwärmerisch den Wasserdruck ihrer Festival-Hotelzimmerdusche mit dem ihres jeweiligen Zuhauses.

Es sicherlich nicht nur pure Höflichkeit, wenn Animationsfilmer von der „Gastfreundschaft“ des Stuttgarter Trickfilmfestivals sprechen. Speziell für sie ist ein Betreuer abgestellt; darüber hinaus hat sich seit der letzten Veranstaltung eine tägliche Gesprächsrunde zu einer humanen Zeit etabliert, die – professionell von der Jungfilmerin Anna Henckel-Donnersmarck moderiert – Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch bietet.

Publikum ist auch hier willkommen, und wer will, erfährt so einige interessante Nebensachen über die Produktionsbedingungen in der Animation – etwa, daß der zielgerichtete Einsatz eines Computers in manchen Fällen die freiwillige Einzelhaft im Studio um Monate verkürzen kann, wie der Experimentalfilmer Richard Reeves, immer noch verblüfft, erzählte.

Eine Erkenntis, die allenthalben bestätigt wurde: Wer einen Computer in seiner Arbeit einsetzen kann, erleichtert sich die Produktion, vor allem im zweidimensionalen Bereich. Der Unterschied jedoch, ob der Rechner als Werkzeug oder Schöpfer eingesetzt wurde, ist deutlich: Noch immer fehlt den meisten Filmen, die mit computergenerierter Dreidimemensionaliät aufwarten, sowohl die erzählerische Substanz als auch die eigene Bildsprache. Jenen Animationen hingegen, die den Computer als Hilfsmittel verwenden, merkt man die Technik nicht an. „Eines Tages war ein Mann in meinen Bauch eingetreten“, beginnt die Förderpreisträgerin Marie Paccu ihren linolschnittartigen Film: Aus dem Körper einer Frau ragt ein kleiner Mann, in Laufrichtung angebracht, das Gesicht nach unten gewandt. „Als er am nächsten Tag immer noch da war, erkannte ich, daß ich mich an ihn gewöhnen mußte.“ Marie Paccu operiert überzeugend mit einer Ausgangssituation, die der Zuschauer problemlos hinnimmt, so absurd sie auch scheinen mag, und widmet sich in den folgenden Minuten der Frage, wie eine Frau lebt, die ihren Bauch mit einem Mann teilt. Die Geschichte zählt: Daß „Un Jour“ am Computer erstellt wurde, fällt nicht ins Gewicht.

Entsprechend hart urteilte der Großteil der Festivalteilnehmer übrigens auch über den diesjährigen Oscar-Preisträger „Geri's Game“ von Jan Pinkawa: Computertechnisch auf dem derzeit höchstmöglichen Stand, hieß es, aber: Warum sollte Animation die Realität imitieren?

Eben. Stuttgart zeigte in diesem Jahr nach langer Zeit eine fast einwandfreie Auswahl von Wettbewerbsfilmen, die berechtigte Zweifel an der Wirklichkeit aufkommen lassen. Preise hin, Preise her: So soll es sein. Carola Rönneburg