„Das nennt man Putschismus!“

Bewährung in der Produktion: 34 Revoluzzer von 1968 – Kommunarden, Haschrebellen und SDSler – haben die Osterausgabe der taz hergestellt  ■ Von Bascha Mika und Christian Schulz (Fotos)

Diesmal wollten sie keine Revolution machen, sondern nur eine Zeitung. Und weil das eine vergleichsweise konkrete Utopie ist, sollte sie in zwei Tagen verwirklicht werden. Zwei Tage für eine taz. 48 Stunden Bewährung in der Produktion für 34 RevoluzzerInnen der 68er Generation. Nur ein knappes Drittel davon sind Frauen – nicht anders als damals.

Gründonnerstag, 10.00 Uhr:

„Ich schlage vor, so eine Art Plenum zu machen...“

„...um sich über die politische Linie der Zeitung zu verständigen.

„...lieber gleich in die Arbeitsgruppen.“

„Soll ich mich vorstellen?“

„Rede einfach!“

„Also, wie immer.“

„Was mir fehlt in der taz, ist die gute Nachricht, wo linke Politik Erfolg hat.“

„Das Fernsehprogramm ist absolut beschissen präsentiert...“

„...wir müßten das Layout verändern, die Ressorts auflösen...“

„...natürlich können wir uns als Karikatur gebärden und alles umkrempeln.“

„Du glaubst doch nicht im Ernst, daß die tazler nicht schon heimlich eine Zeitung in petto haben, falls wir versagen.“

„Es wäre doch ein unheimliches Ding, wenn wir es schaffen, hier zwei Tage zu kooperieren und eine Zeitung zu produzieren, die auf dem Markt ankommt. Laßt uns doch endlich anfangen!“

Gründonnerstag, 11.10 Uhr: Der Konferenzraum der taz ist leergefegt. Kaum mehr als eine Stunde haben die ehemaligen SDSler und Kommunarden, Haschrebellen und APO-Anwälte, Berufsdemonstranten und Bombenbastler für ihre erste Sitzung gebraucht. Höchstens die Hälfte kennt (und ein Drittel haßt) sich von früher, die meisten verbindet heute nichts mehr außer der Zugehörigkeit zur selben Generation. Doch in der taz üben sich die angegrauten Rebellinnen und Rebellen im Kollektiv: Nichts eint mehr als die Angst vor den weißen Seiten.

In Null Komma nichts haben sie grobe Schneisen in den Wust von Themen geschlagen – „Ein Geburtstagsständchen für Joschka Fischer von lebendigen 68ern!“, – haben sich den verschiedenen Ressorts zugeordnet und sind in den Redaktionsräumen verschwunden. Die tazlerInnen, die die Gäste technisch anleiten und betreuen sollen, reiben sich verblüfft die Augen. Hatten sie nicht insgeheim befürchtet, daß sich die alten Politfreaks in endlosen Diskussionen verlieren, statt wie geplant die Osterausgabe zu produzieren?

Statt dessen ließen die Geladenen nur ein klitzekleines ideologisches Lüftchen durch die Kochstraße 18 wehen, erneuerten geradezu vorsichtig – in aller Freundschaft versteht sich – die alten Feindschaften und riefen zum Jahrestag des Attentats auf Rudi Dutschke dessen Lichtgestalt auf das Haus herab. Ohne große Debatten klopften sie ihr Selbstverständnis als Blattmacher fest: Die Ausgabe soll möglichst aktuell sein, nicht nur von üblichen 68er Themen wimmeln, aber zeigen, was die Revoluzzer von einst heute noch zu sagen haben. Ein journalistischer und politischer Minimalkonsens. Nur spaßeshalber drängt einer: „Laßt uns doch ein bißchen primitive Agitation machen!“

Gründonnerstag, 13.00 Uhr: Christian Ströbele, einst APO-Anwalt und heute Grünen-Politiker, schleppt einen ganzen Karton Kekse in den 3. Stock. Als einer der taz-Gründer hatte er in den Anfangszeiten die Redaktion mit Frühstücksbrötchen und Kuchen versorgt, „weil die doch alle so arm waren“. Das prägt.

Sie sitzen an den Schreibtischen, als hätten sie schon immer da hingehört. Die frühere Courage-Mitgründerin Plogstedt erklärt der Ex- SDS-Frau Tröger das Internet. Charles Wilp, früher ein Mann der Werbung, heute ein Raumfahrt- besessener Künstler, fliegt schon wieder wortreich im All. Und Bommi Baumann, der einst Bomben für die „Bewegung 2. Juni“ schmiß, schaut mittags mal rein und flaniert, ganz elder statesman, im Anzug mit Weste versonnen durch die Räume. Nur taz-Feuilletonchef Harry Nutt hat ein Problem. Während die eine Hälfte seiner Redaktion radikal die mitgebrachten Artikel kürzt – „800 Zeilen? Kriegen wir doch locker auf 250 runter!“ – hat die andere Hälfte ihre Texte einfach bei ihm abgeladen und sich dann verdrückt. „Wo sind meine Frauen?“ erschallt Nutts verzweifeltes Rufen.

Nachmittags gibt's noch mal eine Konferenz, bis zum Abend sollen die Kultur-, Sport- und Medienseiten fertig sein. An der „Wahrheit“ zeigen die 68er nicht das geringste Interesse. Zum erstenmal seit vielen Jahren keine Satireseite, kein Comic strip von Tom – auch eine Art Revolution. Die „Wahrheit“ wird dem Sport zugeschlagen.

Die drei 68er Sportredakteure fachsimpeln über das „unheimliche Phänomen Marathon“. Da tritt Udo Knapp, Ex-SDSler, Ex- Grüner und Ex-SPD-Landrat in Mecklenburg-Vorpommern, auf den Plan. Er trägt einen blauen Fischerpullover und ist verantwortlich für die Meinungsseite. In dem Ton, den alle kennen, die Udo Knapp kennen, sucht er einen Autor – und erntet Spott: „Udo, du warst zwar Landrat, aber kein Landvogt.“ – „Er hat er immer die Straßenseite gewechselt, wenn ihm jemand aus der Bevölkerung entgegenkam.“ – „Der trägt immer noch denselben Pullover wie damals.“

Unbemerkt von dem größten Teil der Redaktion braut sich derweil ein Putsch zusammen. Er kommt von ganz oben, aus dem taz-Archiv im 6. Stock. Hier hockt die „ekstatische Fraktion“ – der Exkommunarde Rainer Langhans und seine „Haremsdamen“. Fünf Haremsdamen gibt es, drei davon sind nach Berlin gekommen. Ist es nicht sehr, sehr antifeministisch, eine Haremsdame zu sein und sich auch noch so zu nennen? Die drei lächeln sanft: „Eine starke Frau braucht nur ein Fünftel Mann!“

Die ekstatische Fraktion hat eine Botschaft und will die Tagesthemenseite kapern. Für Rudi. Rudi in göttlicher Trinität: als Priester, Prophet und Erweckungsprediger. So viel Dutschke gab's nimmer. „Laßt uns ganz spontan 100 ekstatische Sätze bilden“, fordert Langhans. „Dann haben wir spätestens morgen früh zwei Zeitungen“, unkt ein taz-Redakteur hinter vorgehaltener Hand.

Gründonnerstag, 17.30 Uhr: Der erste Text ist fertig. Überschrift: „Die Hölle auf dem Fernsehstrich.“ Stolz läuft taz-Medienredakteurin Barbara Häusler mit dem Produkt durch die Gänge. Ihre 68er Redaktion verleiht ihr das Prädikat: „Gute, strenge Mutter.“

Karfreitag, 9.00 Uhr: Pünktlich treten die 68er zur Arbeit an. Selbst die „Dutschkisten“, die bis nachts um drei getagt haben. Einen Text könnten sie trotzdem nicht vorlegen, nur Stichworte, verkündet Langhans. Prompt gibt's den Krach, auf den alle gewartet haben. In alten Zeiten wurde Langhans zusammen mit seiner Kommune 1 aus dem SDS rausgeschmissen. Jetzt will der letzte SDS-Vorsitzende Knapp wenigstens sehen, ob Langhans' Text „innerhalb meines Spektrums ist“. – „Das haben wir vor dreißig Jahren abgeschafft“, blafft der ehemalige Haschrebell Günter Langer. „Ist doch Quatsch, was soll denn passieren mit Rudi?“ mischt sich Courage-Mitgründerin Sabine Zurmühl ein. Die Dutschkisten verlassen geschlossen die Konferenz. Langhans: „Wir gehen arbeiten!“ – „Das nennt man Putschismus!“ ruft Knapp hinterher. „So war das immer.“

Karfreitag, 12.00 Uhr: Niemand hat Lust gezeigt, lange über die Dutschke-Seite zu streiten. Der Redaktionsschluß droht. Die aktuellen Seiten warten. Und die übliche Nerverei. Artikel landen im elektronischen Orkus statt auf der richtigen Dateiebene, Weltnachrichten sollen auf 30 Zeilen gemeldet und kommentiert werden, der eine oder andere Text fliegt aus Platzmangel raus – Zeitungsalltag eben. Die taz-Verantwortlichen für die Produktion bleiben äußerst gelassen. Nicht mehr Chaos als üblich. Eher sogar weniger.

Christian Ströbele sitzt in der Inlandsredaktion und verflucht die Technik. Erst hat die Sonne seinen Text auf dem Bildschirm unleserlich gemacht, dann ist der Artikel auf geheimnisvolle Weise verschwunden, anschließend stürzt das ganze Computersystem ab. taz- Chefredakteurin Klaudia Brunst grinst gnadenlos: „Jetzt bekommst du wenigstens mal mit, unter was für Produktionsbedingungen wir hier arbeiten.“ Ströbele ist Mitglied des taz-Aufsichtsrats.

Karfreitag, 15.55 Uhr: Die Zeitung ist fertig! Selbst die Dutschke- Seite ist drin. Nur über das Titelfoto ist am Schluß lange gestritten und schließlich – um nicht ganz aus der Übung zu kommen – abgestimmt worden. Wie in alten Zeiten. Ein kurzes Nachbeben folgt jetzt noch wegen der Aufmacherüberschrift. „Die Welt ist schön!“ wollen die Dutschkisten auf ihrer taz lesen. Doch da ist der Redaktionsschluß vor.

Zufrieden schwärmt taz-Öko-Redakteur Urbach vor sich hin. Da habe er doch vorsichtshalber sein Ringel-Raver- Shirt mit einem Hemd vertauscht, um nicht durch zuviel Jugendlichkeit abzuschrecken. „Dabei waren meine Jungs einfach Klasse!“ Von den drei 68er Jungs, die der 31jährige so hingebungsvoll lobt, könnte jeder sein Vater sein.

Karfreitag, 24.00 Uhr: Auf dem Höhepunkt des Festes zu Ehren der 68er Zeitungsmacher erscheinen zu guter Letzt doch noch die, die ihnen gerade noch gefehlt hatten. Die Vertreter der Staatsmacht. Zwei Uniformierte kämpfen sich durch Enge, Lärm und Rauch, steuern zielsicher die offene Terassentür an und schließen sie schlicht. „Einen schönen Abend noch“, wünschen sie freundlich. Die braven Bürger haben wieder ihre Ruhe.