Proletarische Petitessen

■ Schon bei den Kinks war sein Maß die Kurzstrecke: mit dem Randalierer Ray Davies kommt ein Stück Pophistorie

Er ist ein Storyteller und ein „Well-Respected Man“, und daß er nicht zu den Giganten unter den britischen Songschreibern der 60er Jahre gehört, zählt zu den Rätseln der Popmusik. Die Kinks waren circa 1966 die größten nach den Beatles und den Stones. Doch anders als diese war Ray Davies' Band kein Kollektiv und nicht einmal ein Duo. Denn Rays Bruder Dave fungierte eher als Hemmschuh, als Nörgler und Blitzableiter, und in den Kämpfen mit dem Unbegabten hatte der Ältere sich Anfang der 70er Jahre schon verschlissen. Muswell Hillbillies, sein womöglich bestes Album, blieb das letzte bedeutende Statement.

Danach: der lange Abschied ohne Ende, halbgare Spätwerke, Retrospektiven, Neubearbeitungen, die Aufarbeitung des Ruhms in Internet und Buch. Ray Davies schreibt noch immer gern und redet wie eine sprudelnde Quelle, doch die britischen Sozialkommentare schrieb seit 1976 Paul Weller bei The Jam und später bei Style Council.

Waterloo Sunset, You Really Got Me, Lazy Afternoon, Dedicated Follower Of Fashion und Days sind nur die bekanntesten Alltags-studien im Katalog von Davies, der Britpop und und Pubrock gleichermaßen definierte und das Proletariat Britanniens luzid porträtierte. Eine Single ist immer in der Liste der schönsten 45s aller Zeiten, ein Album nicht unbedingt. Die Musik der Kinks war immer unspektakulär, der Rock simpel, die Balladen gediegen. Ray Davies' Maß war die Kurzstrecke, die Petitesse, das Nebenbei.

The Storyteller heißt ein Album, das zur gleichnamigen Konzert-Reihe bei Viva erschienen ist. Die Werkschau enthält nur wenige Klassiker, manchmal in zwei Varianten, aber um so mehr Geschichten und Anekdoten und Analysen, alles verschlurft und unterhaltsam und blitzgescheit. Ray Davies, der nur zu gern den randalierenden Entertainer gibt, wenn die Band dabei ist, reduziert hier auf Songs & Stories – und dafür wird man ihn in Erinnerung behalten.

Im Curio-Haus ereignet sich also ein Kapitel der Pop-Historie: Wer nicht dabei ist, den bestraft das Leben.

Arne Willander Fr, 17. April, 20 Uhr, Curio-Haus