Frauenmorde sind nur eine „leichte Warnung“

Albanische Zuhälter in Italien im erbitterten Kampf untereinander – zur Freude der einheimischen Rotlicht-Mafia  ■ Aus Genua Werner Raith

Der Satz klingt so absurd, daß man ihn sich gleich dreimal sagen lassen muß: „Wenn in unserem Milieu dir einer ein Pferdchen aus deinem Stall umbläst, dann ist das zunächst einmal noch eine eher harmlose Warnung.“ Die „Pferdchen“, von denen der 44jährige Gianmarco spricht, sind Prostituierte. Die Rede ist von einer Reihe von Morden, die sich in den letzten Wochen in Ligurien ereignet haben. Die Opfer werden stets mit der gleichen Tatwaffe erschossen, einer Pistole Kaliber 38. Und: Ihre Zuhälter gehören allesamt zu albanischen Gruppen, die seit einigen Monaten an der ligurischen Küste stark im Vormarsch sind.

„Offenbar“, so Gianmarco, „gehen ein paar von diesen Brüdern anderen allmählich auf den Keks. Vielleicht Neuzugängen aus ihrem eigenen Land, vielleicht auch dem einen oder anderen von uns.“ Er wiegt vielsagend den Kopf. Morde an Prostituierten sind jedenfalls „deutliche Hinweise, daß man es nicht zu weit treiben sollte“, das bestätigt auch Slavno, der selbst Albaner ist, aber mit Gianmarco und seiner Truppe zusammenarbeitet – sechs oder acht Zuhälter, die auf der Strecke von Genua bis Savona „ihr“ Revier haben. Er weiß alles über die Mechanismen, die insbesondere innerhalb ausländischer Zuhälterringe herrschen.

Morde an Prostituierten also beunruhigen die Loddel-Gemeinschaft offenbar noch nicht sonderlich, „sieht man einmal von dem ärgerlichen Aufmarsch der Polizei auf, die an allen Straßenecken Kontrollen machen, um den Bürgern Sicherheitsgefühle zu verschaffen“, sagt Gianmarco, „und so was hält natürlich die Freier ab“. Eher sorgen würde er sich, wenn „sie mir die Reifen an meinem Wagen aufschlitzen“, und ganz ernst wäre es, würden sie einem „gar den Ferrari oder den Lamborghini anzünden – „dann muß man allmählich um sein Leben fürchten“.

Beruhigend offenbar, daß es erst mal eine anständige Folge von Warnungen gibt, mit dem Mord an den Frauen als unterster Ebene: Da ist doch noch allerhand Spielraum, sich noch aus der Affäre zu ziehen. Sagt jedenfalls Slavno, den Gianmarco nahezu überall hin mitnimmt, wo er sich im Milieu bewegt.

Gianmarco und Slavno können nicht verstehen, was jemand merkwürdig daran findet, daß zuerst mal Prostituierte umgebracht werden. „Das ist für unsereinen halt so etwas wie ein Produktionsmittel“, sagt er, „wie die Hebebühne in der Werkstatt oder die Nähmaschine in der Kleiderfabrik.“ Während der Ferrari das „Statussymbol ist, auf dem dein Ruf und auch deine Macht im Milieu beruht“. Wer das Statussymbol nicht zu schützen vermag, „der ist sehr schnell raus aus dem Geschäft“. Während man „Frauen dieser Art ohne weiteres ersetzen kann“, setzt Slavno hinzu. Er sagt es, ohne daß man darin Zynismus erkennen könnte; eine Feststellung ohne Hintersinn.

Laya, eine der Frauen, die für Gianmarco arbeitet, nickt eifrig dazu – unklar, ob sie stets nickt, wenn einer der Männer etwas sagt, ob sie es nicht genau verstanden hat – ihr Italienisch ist recht holprig – oder ob sie die Meinung wirklich teilt. „Kaputtgemachtes Auto ist Tod für Beschützer“, sagt sie, „mein früherer Beschützer wurde eine Woche nach Auto umgebracht.“

Dennoch kommt Gianmarco bei solchen Gesprächen ein wenig ins Nachdenken. Schließlich ist er sozusagen familiär vorgeprägt: Auch sein Vater „Massimiliano selig“ – wie er mit aufrichtig gefalteter Stirn dazusetzt, weil der Patriarch schon einige Jahre unter der Erde ruht – war auch schon Zuhälter, damals in den 50er und 60er Jahren. „Und zu dessen Zeiten ging alles ganz anders zu.“ Wenn man einen aus dem Geschäft haben wollte, „verprügelte man ihn, und wenn er nicht parierte, dann...“ – er macht die Geste des Halsabschneidens.

„Frauen waren tabu. Wenn eine umgebracht wurde, dann von einem verrückten Freier oder von einer eifersüchtigen Ehefrau.“ Heute ist das alles anders: „Da bringt jede neu in den Markt eindringende Zuhältergruppe ihre eigenen Regeln und Bräuche mit.“ Tatsächlich mußte Gianmarco das mit dem Frauenmorden als „leichter Warnung“ auch erst lernen: Als ihm innerhalb eines Monats drei seiner „Pferdchen“ angeschossen wurden und er mit seinen Loddel- Freunden eine Gegenstrategie beriet, brachte einer aus der Gruppe Slavno mit. Und der verklarte den Italo-Zuhältern dann, daß ausländische Gruppen „Nutten-Morde keineswegs immer als richtige Kriegserklärung ansehen“, sondern als „Aufforderung, sich doch mal zur Beratung mit der anderen Gruppe zusammenzusetzen und den Markt neu abzustecken.“

Dennoch kommt Gianmarco „bei diesen neuen Morden da doch ab und zu das Flattern“ – man weiß ja nie, ob die andere Gruppe nicht doch etwas anderes beabsichtigt als das, was Slavno dahinter vermutet. So klammern er und seine Freunde sich derzeit irgendwie an die Hoffnung, die Morde seien Teil einer Auseinandersetzung albanischer Zuhälterringe untereinander – „und das kann uns ja nur recht sein“.

Problematisch ist dabei allerdings, wenn man den eigenen Damen nicht so recht klarmachen kann, daß die Morde an den Prostituierten ihre Sicherheit nicht berühren. „Die bibbern neuerdings geradezu, wenn sie auf die Straße gehen.“ Laya zeigt denn auch deutlich Angst: „Warum nicht geben Pistole an uns?“ fragt sie, und es hört sich an, als habe sie es schon öfter gefragt.

Gianmarco und Slavno schütteln den Kopf: Obwohl sie selbst bis an die Zähne bewaffnet sind – Gianmarco trägt zwei Pistolen in Schulterhalftern und eine am Sockenbund, dazu ein Springmesser und zwei Schlagringe in der Tasche – die Frauen wollen sie auf keinen Fall „aufrüsten“. Nicht einmal Tränengasspray bekommen sie, denn „die Versuchung ist da bei der einen oder anderen doch zu stark, den Freier mattzusetzen und mit seinem Portemonnaie abzuhauen“. Das aber würde alsbald Scharen eifriger Polizisten in Marsch setzen, die „nichts lieber tun als Leibesvisitationen durchzuführen, und am Ende sind die Pferdchen tagelang nicht auf der Straße“. Laya widerspricht: „Ich tät' so was bestimmt nicht.“ Gianmarco haut ihr auf das Hinterteil: „Wir beschützen dich, und nun hau ab.“ Sie sieht ihn kurz an, senkt den Blick, stöckelt hinaus.

„Die kommt aus weiß ich was, irgendwo hinter der Türkei“, sagt Gianmarco, „keine Albanerin, aber auch keine Inderin, halt einfach so eine.“ Er denkt einen Moment nach. „Aber recht gelehrig. Wenn dir so eine weggeschossen wird...“ Er führt den Gedanken nicht weiter aus, trinkt sein Bier aus und nickt Slavno zu. Sie haben noch einen Termin: In Unteritalien sind neue Frauen aus dem Balkan und aus Asien eingetroffen und müssen nun nach Ligurien gekarrt werden. Da findet eine der famosen nächtlichen Versteigerungen statt, und da wollen sie nachsehen, ob „was dabei ist, was wir brauchen können“.

Slavno ist für solche Geschäfte unverzichtbar: Er weiß, wer wie und wann zulangen darf bei einer solchen Versteigerung, er weiß, mit wem man Zoff kriegt, wenn man bestimmte Typen von Frauen abschleppt, für die der andere ein Monopol beansprucht, und er weiß auch, welche Frauen man als „Billigware“ auf dem Straßenstrich einsetzen darf und welche eher ins Edelbordell gehören – im Untergrund natürlich, Bordelle sind in Italien verboten.

Slavno weiß auch, ob man bei bestimmten Frauen Schutzgelder an „Residenten“ mafioser Gruppen aus den Heimatländern dieser Frauen zahlen muß, um Killeraktionen zu vermeiden. Bei Konkurrenten der Gianmarco-Gruppe soll Slavno sogar schon von weitem erkennen, welche Stimmung dort gerade herrscht.

Und so hat er, dessen jedenfalls rühmt er sich, einer ganzen Reihe Frauen – er sagt übrigen immer „Frauen“, nie „Nutten“, auch nicht „Pferdchen“ – das Leben gerettet. Noch bevor sich eine gegnerische Gruppe ärgerlich daran machte, Gianmarcos Verein in Form einer toten Prostituierten einen „wohlmeinenden Ratschlag“ zu schicken, war Slavno zur Stelle und bot Friedensgespräche an, selbst wenn noch gar keiner so recht wußte, ob es denn wirklich Krieg geben sollte.

Er bemerkt, wie sehr mich die Geschichte mit den Serienattentaten auf Straßenprostituierte und deren „Bedeutung“ noch immer beschäftigt. „Ich weiß, für humanistische westliche Ohren ist das zynisch oder teuflisch oder hirnverbrannt. Aber wir leben in einem Zeitalter des Überangebots an Frauen; für die meisten Zuhälter sind sie wirklich nichts als Ware, und bei Ware kalkuliert man eben den Verlust eines Teils mit ein.“ Was die Sache aber wohl auch nicht viel besser macht. „Wie im Krieg ist das“, sagt er, „da wird doch auch ein Teil der Soldaten von vornherein als Verlust einkalkuliert.“ Noch immer nicht überzeugt? Nein. Er schüttelt den Kopf, da ist wohl nicht zu helfen.

Gianmarco versucht es anders: „Früher“, hebt er an, „in Zeiten meines Vaters, da hat man Mädchen richtiggehend für diesen Beruf ausgebildet, ihnen beigebracht, wie man es am besten macht. Heute kauft man sie halt, und sie müssen machen, was verlangt wird, basta. Und zwar vom ersten Tag an.“ Schließlich „verstehen die meisten ja auch gar kein Italienisch“. Und das läßt im Grunde „auch gar keine richtige Beziehung zu denen aufkommen“. Das klingt, als seien die Frauen selber schuld, als Ware angesehen zu werden.

Aus dem Radio in der Bar Centrale kommt die Meldung, daß die Polizei in einem anderen Mordfall noch immer auf der Stelle tritt: Da hatte ein Mann, den zwei Wachleute im Auto mit einem brasilianischen Transsexuellen überrascht hatten, das Feuer eröffnet und die beiden Männer getötet; seither fehlt jede Spur von ihm. „Da kannste sehen“, sagt Gianmarco, „das sind die wahren Monster, diese Freier, die sich dann schämen und Amok laufen.“ Klar: Gegen solche Männer sind Zuhälter, die Prostitierte der Konkurrenz ermorden, doch wirklich reine Ehrenmänner.