■ Joschka Fischer läuft und läuft. Die Bilder davon sollen zeigen: Grüne sind keine laschen Hedonisten, sondern halten durch, wenn es ernst wird
: 42 Kilometer Straßenkampf

Der Mann macht mit den Füßen Geschichte. Als er am 12. Dezember 1985 im hessischen Landtag die Schwurhand hob, um „der erste grüne Minister auf diesem Planeten“ zu werden, hatte Joschka Fischer das Ärgernis an den Füßen: schneeweiße Nike-Turnschuhe. Der Sponti als Würdenträger, der die Wahl „locker als Gaudi“ sehen wollte. Das Wort vom „Turnschuhminister“ war geboren.

13 Jahre und eine politische Epoche später gilt der grüne Fraktionssprecher wiederum als potentieller Turnschuhminister – nur eben anders. In der öffentlichen Wahrnehmung ist aus dem Bruder Leichtfuß der Marathonmann geworden, der am kommenden Wochenende in Hamburg seinen ersten Wettkampf über die traditionelle Distanz bestreiten will. Mit dem langen Atem des erfahrenen Läufers hat Fischer inzwischen als medienwirksame Frontfigur der Grünen das Bild der Partei in der Öffentlichkeit geformt: dynamisch und leistungsbewußt, diszipliniert und motiviert – jenseits aller Benzinpreisdebakel. Und in scharfer Abgrenzung zum politischen Stillstand in Bonn zeigen Fischers Läufe, wie die Grünen sich gern präsentieren: als einzige Kraft, die den Herzogschen „Ruck“ in der Gesellschaft verwirklichen können.

Medial verhält sich Fischer wie der Käfer aus dem VW-Land von Gerhard Schröder: Er läuft und läuft und läuft. Fischers Gerenne, immer auf der Grenze zwischen privatem Fitneßprogramm und politischem Statement, vermittelt dem Publikum etwa folgende Botschaften: Mit dem grünen Hedonismus ist es vorbei. Längst wird nicht mehr in der Kneipe bis zum frühen Morgen über die Revolution diskutiert. Im Morgengrauen schnürt man die Laufschuhe und trabt durch den Park. Grüne krempeln die Ärmel hoch und stellen sich den Problemen, die sie mit langem Atem angehen. Bei richtiger Vorbereitung muß Kampf nicht zum Krampf führen. Und wenn Grüne hart sind gegen andere (Flugverbot), dann sind sie vor allem hart gegen sich selbst: Blut, Schweiß und Tränen in einem Straßenkampf auf 42.195 Metern.

Das grüne Laufwunder hat Anklänge an den Fitneßwahn der US- amerikanischen Gesellschaft und Politik. Auch Bill Clinton kämpft mit Gewichtsproblemen und schwitzt seine Sorgen beim morgendlichen Joggen aus. Aber die deutsch-grüne Variante ist wesentlich härter. An einem bestimmten Punkt beißt jeder Marathonläufer die Zähne zusammen, daß es nur so knirscht. Eben diese Quälerei ist auch ein Bestandteil der politischen Bildersprache: Anders als beim klassischen „Wir hier unten, die dort oben“ kann die Volksseele dem Asketen und Hungerkünstler Fischer eines jedenfalls nicht vorwerfen: Daß er sich „auf unsere Kosten mästet“.

Im Gegenteil: Fischer hebt sich durch seinen Sport von der Masse der Politiker ab. Er ist das präzise Gegenbild von Helmut Kohl. Der Kanzler läßt sich nach der rituellen Diätkur am Wolfgangsee marginal verschlankt mit einem Rehkitz ablichten. Beim EU-Gipfel in Amsterdam weigert er sich, aufs Fahrrad zu steigen, und bewegt seine drei Zentner per pedes.

Dabei symbolisiert der Körper des Kanzlers das Sicherheitsbedürnis der Regierten, er ist ein Zeichen für Sattheit, Wachstum und Zufriedenheit. „Kohls Körper ist der Körper der Bundesrepublik“, schreibt der Publizist Karl Heinz Bohrer im Merkur über den „aktuellen Phänotyp deutscher Politik“. Kohls Unbeweglichkeit spiegelt die Stagnation der deutschen Politik. „In Kohl“, so Bohrer, „drückt sich inzwischen die Unfähigkeit einer ganzen Gesellschaft zum dynamischen Infragestellen überkommener Glaubensinhalte aus, wenn diese nicht mehr funktionieren.“

Freilich zeigt sich Fischer erst neuerdings als Gegenbild zum Körper des Kanzlers. In den Zeiten seines Aufstiegs zum grünen Schwergewicht näherte er sich auch physisch dem Kanzler immer mehr an: Mit dem Bauch wuchs das Renommee. Aber das ist vorbei; nun inszeniert sich Fischer als Widerspruch zu Kohls Behäbigkeit. Denn wer sich öffentlich bewegt, zeigt Beweglichkeit. Die Grünen präsentieren sich damit als Partei des Wechsels, des neuen Schwungs, der unverbrauchten Energie – aber auch als Gruppe, die Verzicht leisten und fordern kann. Den Gürtel enger zu schnallen, das kann von Kohl niemand ernsthaft erwarten – Fischer hat dagegen bewiesen, daß es funktionieren kann.

Auch die anderen Politgrößen machen bei der Bewegung keine gute Figur. Wenn SPD-Superstar Schröder wie im Sommer 1997 aufs Rad und nicht ins Auto steigt, stürzt er vom Rad und holt sich eine dicke Lippe. FDP-Außenminister Klaus Kinkel traut sich in New York zum Joggen nur aufs Laufband – und präsentiert damit das klassische Bild vom Hamster im Laufrad.

So einer ist Fischer nicht. Doch auch von Otto Normaljogger hat sich der grüne Fraktionschef als Leistungssportler abgesetzt. In der spaßorientierten Mediengesellschaft mutiert Fischer zur Vorlage für die Fitneßträume von Menschen mit leichtem Übergewicht und schlechtem Gewissen – und verwischt durch die Konzentration der Medien auf seine Person inhaltliche Positionen seiner Partei. In der postmodernen Werteskala, auf der Wimbedlon-Sieger und Fußballasse zu verbindlichen gesellschaftlichen Vorbildern stilisiert werden, zählt der Marathonläufer Joschka, weniger der Politiker Fischer, der die Ökosteuer will.

Die Präsentation als grüner Vorläufer der Nation hat noch andere Tücken. Denn nirgendwo lauert die Gefahr, zu scheitern und sich lächerlich zu machen, so unmittelbar wie beim Sport: Rudolf Scharping stürzte 1996 als passionierter Radsportler ohne Helm vom Rennrad und riskierte dabei neben Kopf und Kragen auch seine nach einem Stimmungstief neugewonnene Popularität. Der US-Präsident Jimmy Carter erlitt beim Joggen vor laufenden Kameras einen Schwächeanfall und zeigte sich damit öffentlich verwundbar.

Ein verstauchter Knöchel, ein Wadenkrampf vor den Kameras würden Fischer in der Pose des Verlierers auf die Titelseiten der Zeitungen bringen. Dabei geht es bei der politischen Bildersprache vor allem um eines: durchhalten und gewinnen. Das Augenmaß, im Zweifel den Wettkampf aufzugeben, ist in dieser Inszenierung nicht vorgesehen. Aufzugeben gilt dem breiten Publikum als Scheitern und nicht als Sieg der Vernunft. Das ist die Gefahr für die Medienfigur Fischer – und für die Politik, für die er wirbt. So verrückt es klingt: Die Grünen können es sich kaum leisten, daß ihr Vorläufer beim Marathon öffentlich schlappmacht. Bernhard Pötter