Kunstschutz für Seele

■ Cettina Vicenzino reist mit einem „Mantel als Haus“und horoskopischen Pfannkuchen zur ArtGenda

Zurückhaltend, bescheiden und etwas scheu erzählt die 1968 im sizilianischen Militello geborene Studentin des Modedesigns und Performance-Künstlerin Cettina Vicenzino über ihr Projekt Ein Mantel als Haus. Das Thema ist komplex, heikel und leider hochaktuell: Heimat- und Identitätslosigkeit, Verlust von Individualität und drohende Obdachlosigkeit. In nahezu beuysianisch anmutender Manier hat die Künstlerin ihre eigenen Ängste und Beobachtungen thematisiert und Material und Stoff werden lassen.

Im Zentrum der Arbeit steht ein dunkelgrüner, wärmender Mantel mit großen Taschen für das Nötigste, was ein Mensch braucht, der gezwungen wurde, auf der Straße zu leben. „Mit diesem Mantel ist man immer unterwegs, von einem Ort zum nächsten. Meistens auf der Straße. Dieser Mantel ist für Menschen ohne Schutz.“1995 nähte ihn die Künstlerin, um der materiellen Welt zu entfliehen, aus der Überzeugung, „Freiheit nur anhand von besitzlosem Denken und Individualität nur anhand von Nicht-Festlegungen erreichen zu können“.

Ihre Seelennot war berechtigt: Seit 1972 in Köln lebend, hat die Italienerin Ausländerfeindlichkeit von Bürokraten am eigenen Leib erfahren. Seit 1992 studiert sie Modedesign an der Fachhochschule für Gestaltung in Hamburg. Die Doppelidentität initiierte Fragen auch für die Welt der Mode, in der oberflächliche Eigenschaften die Identifizierung bestimmen, wo Identität käuflich ist. Denken in Markenartikeln. Die persönlichen Ängste und Fragen ließen so jene mit dem Mantel als schützendem Objekt verbundene Multilog-Arbeit Realität werden.

1998 wurde der Mantel zu einer sozialen Performance erweitert: „Ich habe die Arbeit mit Mantelzeichnungen von Wohnungslosen ergänzt, wobei hier der Mantel vielmehr die Schutzlosigkeit symbolisiert“, erzählt Cettina Vicenzino. Auf den 48 auf der Straße und in Tagesstätten entstandenen, phantasievollen, aber auch Tragik signalisierenden Zeichnungen hat die Künstlerin Stempel angebracht. „Die Realisation ist untersagt“, ist da zu lesen, um dem Mißbrauch durch Mode entgegenzuwirken.

Eine weitere Performance für die ArtGenda in Stockholm wird im Rahmen des von Claus Friede organisierten Salons gezeigt: Das Pfannkuchenhoroskop ist ein Entwicklungsspiel für die Seele auf astrologischer Basis. Die Mitspieler lernen über das Essen als Verinnerlichung die rationale und sinnliche Verbindung zu sich selber kennen. Neben der leiblichen Versorgung werden die Beteiligten mit einer horoskopischen Zeichnung beschenkt. Kunst als Schutz und Geschenk für die Seele. Gunnar F. Gerlach