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Der Klang der Stille

■ Von Jubiläen, Kellerprojekten und Musenrössern: Ein Portrait von Mr. DACAPO, Ingo Ahmels

Chaos ist kreativ, beweist das Büro von Ingo Ahmels. Der Geschäftsführer der DACAPO GmbH haust über'm Theater am Leibnizplatz, inmitten von Büchern, Computern, Lautsprechern, Kisten von Cassetten und CDs, Post- und Plakattürmen, auf etwa 30 Quadratmetern verstapelt wie von einem Tetris-Genie. In halber Höhe und fragiler Schräglage döst ein Alphorn – das erstarrte Echo innerer Ruhe.

Große Gelassenheit zeichnet seinen Besitzer aus. Selbst dem dauernden Klingeln des Telefons und dem Schnarren des Anrufbeantworters vermag der experimentierfreudige Musiker und Konzertmanager noch Befremdliches zu entreißen. Seine Ohren finden ständig etwas Neues. Ingo Ahmels ist so etwas wie ein Adventure-Spezialist für Klangwelten, durch die er seine Mitmenschen seit 13 Jahren führt. Am kommenden Sonntag feiert DACAPO ein kleines Jubiläum und präsentiert sein 400. Konzert: Dabei wird der Akkordeonist Stefan Hussong Werke von Frescobaldi und Cage vortragen.

Als Knabe von zwölf Jahren begann Ingo Ahmels, mit Tonbändern zu experimentieren. Nach dem Abi und einem abenteuerlichen Umweg als Verwaltungsangestellter beim Finanzamt und Paketfahrer bei der Post nahm er 1981 das Musikstudium auf und absolvierte 1985 das Staatsexamen an der Uni Bremen. Noch im selben Jahr gründete er den Kulturverein DACAPO e.V. Das hehre Ziel des damaligen WG-Projektes: Neue Musik live nach Bremen zu holen und mit abendländischer Klassik, zeitgenössischem Jazz und außereuropäischer Musik den Hörgewohnheiten der BremerInnen zuzusetzen.

Fortan erschallten im Waller „Havanna“, direkt im Souterrain des Ahmels'schen Hauses gelegen, die Klänge von Bach, Beethoven und Satie. Allerdings derart überlagert von Zapfgeräuschen und Geschirrgeklapper, daß Ahmels und seine Mitstreiter, der Kursbuch-Herausgeber Eugen Wohlkampfer und der Klavierhändler Heinz Kohler, bald einen neuen Tatort suchten. Sie fanden ihn im Bürgerhaus Weserterrassen, dessen Ambiente sich der konventionellen Unterscheidung zwischen U- und E- Musik entzog.

Am 30. Oktober 1985 fand die DACAPO-Premiere mit dem Manfred-Schoof-Orchester statt. Gefeiert von Publikum und Presse organisierte DACAPO im folgenden Jahr weitere 50 Konzerte. 1986 gab es erste Mitschnitte von Radio Bremen, der Deutsche Musikrat begann, einzelne Konzerte der Reihe zu fördern. Anders die Kulturbehörde: Der damalige Senator Franke (SPD) gewährte dem Projekt ganze 1.000 Mark Zuschuß, der Ende 87 schließlich auf 10.000 Mark erhöht wurde. Doch erst 1990 sollten sich mit dem Senatorenwechsel die Arbeitsbedingungen von DACAPO entscheidend verändern. Zum Zeichen seiner Begeisterung griff Henning Scherf daselbst in die Tasten der DACAPO-Klaviatur und erspielte dem Team 1,75 ABM-Stellen und Geld aus seinem Haushalt. Amtsnachfolgerin Helga Trüpel sicherte dem Verein einen jährlichen Zuschuß von 250.000 Mark.

Der Aufstieg aus dem acht Quadratmeter großen Ahmelsschen Privatkeller in die zweite Etage des Theaters der Shakespeare Company brachte DACAPO 1990 ein veritables Büro. Von hier aus initiierte der Verein, vorbei an bestehenden Institutionen, seine flächendeckenden Angriffe auf die konventionelle Musikkultur Bremens.

Mit der Klangskulptur Pegasos trat Ingo Ahmels 1993 selbst als Künstler in Erscheinung. Pegasos, ein Flügel oder poetischer: das Roß der Musen, war bereits 1990 per Kranwagen durch die Stadt geflogen und trieb anschließend eine Woche lang auf der Weser. Dort maß es die Kontamination des Wassers und übertrug dessen Geräusche als Musik in die vier Aufführungen der Multimedia-Komposition „Pegasos' Traum“in den Weserterrassen. 1993 wurde Pegasos vor dem Gebäude, zwischen Weser und Verkehrsstrom, auf einer Säule festgezurrt. Als Medium zwischen der Kunst und der Außenwelt hat Pegasos bis heute überlebt.

DACAPO ging es nie allein um die Verfeinerung der akustischen Wahrnehmung seines Publikums. Daher veröffentlichte der Verein 1993 anläßlich der Aufführung von Hans Ottes „Garten der Klänge“den ersten Band der Schriftenreihe, der eine Auswahl von Texten von und über Hans Otte enthielt. „nie wieder Kunst. dacapo“, das Buch mit dem beiliegenden Sampler „Silent Pieces“, beschäftigte sich außerdem mit Werken von Cage, Feldman, Webern, Eichmann und Goldstein. Um neben den querschnittartigen Konzertmitschnitten komplette Live-Produktionen einzelner Künstler und Gruppen herausgeben zu können, gründete Ingo Ahmels gemeinsam mit Werner Rabus 1993 die Produktionsgesellschaft „dc records“, DACAPOs Label. Bisher liegen sechs dc-CDs vor, weitere sind in Planung.

Neben der CD-Brennerei im kleinen DACAPO-Büro wurde weiterhin fleißig an Konzert-Reihen gebastelt. Veranstaltungsort war seit Ende 94 das Übersee-Museums. Die von wunderbaren und absonderlichen Exponaten geprägten Lichthöfe des Museums, die zentrale Lage und die, so Ahmels, „konzeptionelle Nähe eines living museum begünstigen den Transfer der Inhalte, für die DACAPO längst überregional zum Begriff geworden ist.“

Seit Juli 1996 können BesucherInnen einen der Lichthöfe als „Raum der Klänge“erleben – eine von DACAPO errichtete permanente Klanginstallation von Hans Otte. Zwölf Lautsprecher, in fünf Meter Höhe gleichmäßig an den rundum stehenden Säulen verteilt, können über eine von Andreas Heintzeler erfundene Klaviatur angesteuert werden, so daß sich ein über Mikro, Tonband oder CD eingespeister Klang räumlich bewegen läßt. Hans Otte fertigte zwar einige Klangräume vor, doch können BesucherInnen auch eigenes Klangmaterial mitbringen. Ein Riesenspaß für Kinder und Erwachsene.

Auf ein Abenteuer ganz anderer Art ließ sich hier der Weltklasse-Posaunist Mike Svoboda ein. Von Ingo Ahmels befragt, ob er sich zutraue, für DACAPO einen kompletten Konzertabend auf dem Alp-horn zu geben, sagte Svoboda zu. Das augenzwinkernde Experiment geriet zu einem unvergeßlichen Abend für Publikum und Musiker. Teile des Konzertes sind auf der „dc 6“zu hören, ergänzt von Aufnahmen, die Ahmels und Svoboda an fürwahr ungewöhnlichen Orten machten: Getreu dem ersten Gesetz des Alphornbuechli (anno 1938), demzufolge „das Alphorn in die Berge hinein gehört“, begaben sich die beiden Musiker mit ihrem Gerät in eine Tropfsteinhöhle, erklommen eine Mülldeponie und suchten, in Ermangelung norddeutscher Echowände, den Hafen sowie die Nordwand des Weserstadions auf.

Hätte Ingo Ahmels nicht so viel Spaß an DACAPO, er hätte wohl längst das Handtuch geworfen. Denn im Zuge allgemeiner Sparmaßnahmen wurden auch bei DACAPO die Zuschüsse zusammengeschnurrt und die ABM-Stellen wieder gestrichen. Abgesehen von einigen ehrenamtlichen HelferInnen macht er alles allein. Er organisiert wie zuvor jährlich etwa 50 Konzerte und Veranstaltungen, die mittlerweile alle von Radio Bremen mitgeschnitten werden. Er legt die Strippen bei den Aufnahmen, er gestaltet Einladungen, macht die Pressearbeit, brennt CDs und führt das Archiv, das mittlerweile einen unschätzbaren Wert hat. Hier bedienen sich Musikinteressierte aus dem In- und Ausland.

Kulturelles Kapital, das die Stadt Bremen kaum zu würdigen weiß. Langfristige Planungen sind mit dem jährlichen Etat von 170.000 Mark, der überdies nur portionsweise genehmigt wird, nicht mehr zu machen. Umso mehr ärgert ihn, wenn er, wie kürzlich, erfolgreich für ein Projekt Gelder in Brüssel beantragt hat, die hiesige Verwaltung jedoch ihr Placet verschläft. „80.000 Mark wurden auf diese Weise quasi verschenkt“, schimpft der ansonsten eher lässig-humorige DACAPO-Chef und, an Bremens Kulturpolitik gewandt: „Ihr benutzt schlecht, was Ihr hier aufgebaut habt. Ihr müßt Euch fragen, ob wir politisch gewollt sind.“

Wenn er sauer ist, geht er nach nebenan, wo die Shakespeare-Company ihr Klavier beherbergt, „eine Bach-Fuge zocken“, und besinnt sich auf seine Herkunft. Natürlich, deutet er an, könne er mit DACAPO samt Archiv und guter Beziehungen zu Weltklasse-MusikerInnen auch in eine andere Stadt umziehen, wo man die DACAPO-Arbeit eher zu würdigen weiß, aber er möchte lieber in Bremen bleiben: „Ich bin stur. Meine Großmütter und -väter waren Ostfriesen.“Die Stadt gefällt ihm nun mal – und das Publikum auch.

Dora Hartmann

Konzert von Stefan Hussong: Sonntag, 19. April, 20 Uhr im Übersee-Museum. DACAPO bittet ausnahmsweise um Voranmeldung unter 500 444, da anläßlich des Jubiläums ein kleines Buffett serviert wird.

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