Organisierte Verbrecherjagd

„Sonderkommissionen“ und „Schnelle Ermittlungsgruppen“ von Bundesgrenzschutz, Länderpolizei und Zoll bekämpfen die sogenannte Organisierte Kriminalität. Das funktioniert behörden- und länderübergreifend. Und natürlich grenzüberschreitend. Die Zusammenarbeit mit Polen und Tschechien gedeiht und soll weiter Richtung Osten ausgebaut werden. Die Grenze wird dichter.

Zweifellos gibt es sie: Straftäter aus den Staaten des früheren Ostblocks, die über die Grenze kommen, nur um in Deutschland einem zweifelhaften Handwerk nachzugehen. Doch nicht jeder Ausländer, der (illegal) die Grenze passiert, ist deshalb ein Straftäter; und nicht jede polizeiliche Abwehrmaßnahme gerechtfertigt.

Darüber, was „Grenzkriminalität“ ist, besteht zwar keine rechte Klarheit, eines aber steht für Innenminister und Polizeiobere fest: Für international agierende Tätergruppen ist auch die bestbewachte Grenze kein Hindernis; hoch spezialisiert und in technischer Hinsicht bestens ausgestattet, überqueren sie die Grenzen, wann immer sie wollen. In Brandenburg und Sachsen hat man daher einen pragmatischen Weg gewählt und erfaßt seit fünf Jahren alle Straftaten, die entlang der Grenze zu Polen und Tschechien begangen werden, unter der Definition „Kriminalität im Bereich der Außengrenze“ in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Daß es sich hierbei in den meisten Fällen um Verstöße gegen das Ausländer- und das Asylverfahrensgesetz handelt, liegt auf der Hand.

Nun ist die Verwendung von PKS-Angaben nicht unproblematisch, da diese von den unterschiedlichsten äußeren Faktoren beeinflußt werden können. In diesem Fall sind zudem schon die Kriterien ihrer Erfassung ausgesprochen weit gefaßt, wie ein Blick in die entsprechenden Tabellen zeigt. Da der Grenzschutz bislang eigene Zahlen nicht veröffentlicht hat, handelt es sich jedoch um die derzeit einzigen aktuellen Angaben. Demnach ist „Grenzkriminalität“ – entgegen anderslautender öffentlicher Bekundungen – an Oder und Neiße rückläufig. Rechnet man aus den erfaßten Zahlen noch die Verstöße gegen Ausländer- und Asylgesetz heraus, so wurden im ersten Halbjahr 1997 an den sächsischen Grenzen insgesamt 9.610 Straftaten gezählt, knapp zwölf Prozent weniger als im gleichen Zeitraum 1996.

Gleichwohl gilt die Grenze zu Tschechien unter Grenzschützern als „offenes Scheunentor“. Diesen Ruf verdankt sie in erster Linie dem Abwehrkampf gegen illegale Einwanderer. Während die Zahlen der illegal eingereisten Personen dabei kontinuierlich zurückgehen, zeigen die Statistiken bei Straftaten nach Paragraph 92a/92b des Ausländergesetzes (Schleuserkriminalität) kräftige Anstiege: Nahm der BGS 1995 noch 238 Schleuser fest, so waren es 1996 schon 387 und im letzten Jahr bereits 541.

Zurückzuführen ist dies neben intensiveren Kontrollen des Grenzgebietes durch den Bundesgrenzschutz unter anderem auch durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit einzelnen Landespolizeien. Zwischen der Berliner Polizei und dem BGS etwa existiert bereits seit 1994 eine elfköpfige gemeinsame Ermittlungsgruppe „GE- Schleuser“, sechs der Beamten gehören dem BGS an. Zu ihrem Aufgabenbereich gehören neben den Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Schleuserorganisationen weiterhin Ermittlungen gegen Hersteller und Vertreiber von gefälschten Pässen und anderer Urkunden, ohne die AusländerInnen in Deutschland nicht weit kommen: Visa, Einladungen, Aufenthaltsgenehmigungen und ähnliches.

Mit dem Aufbau einer zweiten Ermittlungsgruppe begann man im Herbst 1997. Und in Brandenburg wurde im April 1997 beim Polizeipräsidium Potsdam ebenfalls eine aus zehn Mann bestehende Sonderkommission (Soko) eingerichtet. Die von einem Beamten aus dem Bereich „Organisierte Kriminalität“ geführte Gruppe kümmert sich ebenfalls ausschließlich um die Aufklärung der Wege und Hintermänner von Schleusungen. Zur engen Abstimmung hat der BGS auch hier einen Verbindungsbeamten in die Soko „Schleuse“ entsandt. Eine gleichartige Soko besteht beim sächsischen Landeskriminalamt. Die BGS-BeamtInnen werden dabei nach jeweils einem halben Jahr ausgetauscht und – nun geschult – im Ermittlungsdienst der neuen BGS-Inspektionen Verbrechensbekämpfung eingesetzt. Neben den 541 mutmaßlichen Schleppern, die der BGS 1997 im Rahmen seiner Streifentätigkeit direkt gefaßt hat, sollen den Beamten im Zug der Ermittlungen rund 200 weitere bekannt geworden sein.

Gemeinsame Ermittlungsgruppen verschiedener (Polizei-)Behörden sind im Bereich grenzüberschreitender Kriminalitätsformen eine beliebte Bekämpfungsstrategie, beispielsweise gegen den Zigarettenschmuggel. Auch hier war Berlin Vorreiter: Seit Mitte 1996 besteht in der Hauptstadt eine sogenannte „Schnelle Ermittlungsgruppe“ aus BeamtInnen des Bundeskriminalamts, des Grenzschutzes, der Zollbehörden und der Berliner Polizei, die die Federführung dieser „Task Force“ innehat. Bei Bedarf werden auch die Behörden Brandenburgs, Polens, Tschechiens und Rußlands einbezogen. Ähnliche behördenübergreifende Sonderkommissionen existieren im Bereich des Drogenschmuggels und internationaler Kfz-Verschiebungen. In Sachsen besteht darüber hinaus seit rund drei Jahren gemeinsam mit dem Zoll eine Finanzermittlungsgruppe zur Verhinderung von Geldwäsche.

Doch nicht nur im Bereich der unmittelbaren Anrainer der Ostgrenzen wird an polizeilichen Kooperationsmodellen gearbeitet. Europaweit erprobten die Schengen-Staaten im Sommer 1997 erstmals die Zusammenarbeit ihrer Polizeibehörden. Von Andalusien bis zum Ijsselmeer und von Cherbourg bis Frankfurt (Oder) fahndeten PolizistInnen in einer großangelegten Aktion nach gestohlenen Kraftfahrzeugen. Die Ergebnisse der Aktion wurden anschließend zur Auswertung an die Europol-Behörde in Den Haag übermittelt.

Selbstverständlich funktioniert die Zusammenarbeit auch über die Schengen- Außengrenze hinaus. Neben Abkommen zur Bekämpfung der sogenannten Organisierten Kriminalität (OK), die die Bundesregierung mit nahezu allen Staaten in Mittel- und Osteuropa bis hin zu Usbekistan abgeschlossen hat, sind es in erster Linie Vereinbarungen mit den unmittelbaren Nachbarn Polen und Tschechien, die eine polizeiliche Zusammenarbeit gewährleisten. So wurde mit Polen neben dem 1991 abgeschlossenen Abkommen zur OK-Bekämpfung, das in bestimmten rechtlichen Grenzen eine operative Zusammenarbeit ermöglicht, 1995 ein weiteres Regierungsabkommen geschlossen. Diese Vereinbarung über die Kooperation der Polizei- und Grenzschutzbehörden eröffnet auch die Möglichkeit einer unmittelbaren grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Als Zusatzprotokoll zu diesem Abkommen wurde Januar 1997 zwischen der sächsischen Polizei und den polnischen Polizeibehörden in Zielona Gra und Jelenia Gra vereinbart, künftig Informationen der verschiedensten Art auszutauschen und in Fragen der Aus- und Fortbildung eng zusammenzuarbeiten. Ähnlich sieht die Situation zwischen der brandenburgischen Polizei und ihren Kollegen auf der polnischen Seite oder zwischen Sachsen und Tschechien aus.

Der Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs hat im Dezember 1997 den Weg freigemacht, um auch mit Polen, Tschechien, Slowenien, Ungarn und Estland Beitrittsverhandlungen zum Schengener Abkommen zu führen. Mit diesem Beitritt würde sich die heutige Schengengrenze dann an die Grenzen zu Rußland, Weißrußland und der Ukraine verschieben. Bis dahin werden zwar noch einige Jahre vergehen, dennoch hat Polen unlängst Einreiseerschwernisse für Bürger aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion erlassen. Zudem hat der frühere polnische Außenminister Bartoszewski bereits jetzt um deutsche Hilfe bei der Sicherung der polnischen Ostgrenze gebeten. Bonns Sicherungsmaßnahmen haben offenbar auch auf der anderen Oderseite ihre Freunde. Otto Diederichs