■ 2.000 Anschläge
: Das Design des Verschwindens

Wagenfeld war ein aufrechter Mann. In seiner Jugend, heißt es, hat er als Kriegsgegner ein paar Tage im Ostertorgefängnis gesessen. Mag sein, daß er sich schon damals Gedanken über Lampen gemacht hat. Die Kellerzelle war stockdunkel und die Zellen darüber hatten Blechblenden vorm Fenster. Mag auch sein, daß ihm die Frage durch den Kopf ging, was wohl die Bremer bewogen hat, ein solches Gefängnis mitten in die Wallanlagen zu bauen.

Zwei Jahrzehnte später war für diese eher artifiziellen Fragen im Ostertor-Gefängnis keine Muße mehr. Hier wurden Sozialdemokraten und Kommunisten, Bibelforscher, „Rassenschänder“, „Volksschädlinge“und ungezählte Zwangsarbeiter eingelocht. Wer dort einsitzen mußte, mit dem war die Gestapo noch nicht fertig. Und wer von dort weiter mußte nach Farge zum U-Boot-Bunkerbau, hatte in den schlimmsten Jahren noch eine Lebenserwartung von drei Monaten vor sich.

Die Nazis hatten für die suggestive Kraft gewisser Orte ein untrügliches Gespür. Einen Kerker, der aus jedem Stein die Selbstgefälligkeit und Ewigkeit der Macht ausdünstete, ließen sie sich für die Einschüchterung ihrer Feinde nicht entgehen. Von Wagenfeld ist überliefert, er habe während des Krieges Leute versteckt, die es brauchen konnten. Wie ja von Wagenfeld ohnehin bekannt ist, daß er sich mit Oberflächen auskannte, aber niemals oberflächlich war.

Sicher hätte sich Wagenfeld für die Frage interessiert, wieso gerade dieses Gefängnis, später im demokratischen Bremen, als Abschiebeknast ausgewählt wurde. Bis zur Vorlage einer besseren Begründung kann man getrost annehmen, daß der Stadt kein gemeinerer und abschreckenderer Ort zur Verfügung stand, um den abgelehnten Asylbewerbern jeden Gedanken an eine Rückkehr nach Deutschland zu vergällen.

Mittlerweile ist das Haus umgebaut. Die Architekten haben exquisite Arbeit geleistet. Die Anmut der Fassade hat sich unter ihren Händen nach 170 Jahren auch im Inneren des Hauses durchgesetzt. Der Grundriß und alle Funktionen wurden radikal umgedeutet. Damit wurde ein eigentümliches Bremer Architekturkapitel fortgeschrieben. Denn Schönheit war in diesem Haus immer Tarnung. Und es hat gerade in dieser Kombination 170 Jahre lang mehr über die Stadt offenbart als viele andere Häuser.

Diesmal geht es nicht um Tarnung, sondern um ein reales Verschwinden. Es soll an dieser Stelle ein Ort für die Förderung des Designs in Bremen geschaffen werden. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber wieso müssen die Design-Förderer ein Konzept für dieses Haus entwickeln, das von Design nur Oberflächenglanz erwarten läßt und niemals einen Beitrag zum Begreifen der Dinge? Aus einem stockdunklen Zermürbungskeller ein romantisches Stuhllager mit Unterflur-Beleuchtung zu machen, dazu gehört schon was. Die sechs erhaltenen Zellen sind eine Marginalie. Und es scheint das dringendste Anliegen von Frau Manske (Wilhelm-Wagenfeld-Stiftung) und Herrn Berthold (Design-Zentrum) zu sein, die bremischen Gespenster dort einzusperren und zu entsorgen.

Aber wie die Dinge so spielen, kann das auch schief gehen. Schließlich weiß man ja, nichts festigt die Erinnerung besser als die Aufforderung zu vergessen.

Robert Bücking

Leiter des Ortsamtes Mitte