Wand und Boden
: Sex mit Himbeerhüten

■ Kunst in Berlin jetzt: Irina Polin, Andrea Bowers/Sam Durant, Robert Rutman, Heike Baranowsky

Die Plastikhelden auf den Fotos von Irina Polin sehen ziemlich derangiert aus. Die Haut an den winzigen Ärmchen ist porös, das Schamhaar wurde mit Filzer aufgemalt, damit man das Geschlecht erkennen kann. Ansonsten beschäftigen sich die Miniaturen einzig und allein mit Sex, der auf den großformatigen Aufnahmen kindlich bleibt. Es liegt an dem Ambiente, das die 1971 in Moskau geborene Fotografin für ihre Inszenierungen schafft: Wer würde schon bei einem Männlein mit erigiertem Schwanz an Pornographie denken, wenn es eine Himbeere als Hut auf dem Kopf trägt? Und wer würde sich über einen flotten Dreier unter Begonienblüten aufregen?

Egal wie explizit die Darstellungen sind, stets haftet ihnen eine naive Sorglosigkeit an. Selbst der Blow-job findet in einer Idylle statt, die man sonst nur aus Puppenstuben kennt. Indem Polin den Sex verniedlicht, tritt jedoch die Obszönität der Umgebung noch stärker hervor. Einige der Figuren verdecken ihren Pimmel mit falschen Wimpern, andere reiten masturbierend auf einem Lippenstift. Ständig werden Verführung und Maskerade miteinander kurzgeschlossen, darin ist Polin so konsequent wie ihre Vorbilder aus der Pornoindustrie. Am schärfsten ist dabei eine Szene, in der es ein Pärchen unter einer Nähmaschinennadel treibt. Aber auch die Orgie auf einem Stück Geburtstagskuchen dürfte selbst ausgefeilten Technikerinnen wie Dolly Buster einige Schwierigkeiten bereiten.

Bis 25. 4., Mi.–Fr. 15–19, Sa. 12–16 Uhr, Galerie Kai Hilgemann, Linienstraße 213

Die Mädchen tragen kurze Röcke und wirbeln bunte Puschel durch die Sporthalle. Andrea Bowers hat ein Video mit Cheerleaders gedreht, die ihr Basketball-Team anfeuern. Daneben hängen die Wände der Dogenhaus Projekte mit allerlei Schlachtrufen voll: Der Slogan „Fight with all your might“ könnte ebensogut von irgendeiner Punkband kommen, die zum Kampf gegen das Schweinesystem auffordert. Dünn ist die Trennlinie, die in den USA zwischen ödem Highschool-Alltag und Underground verläuft. Trotzdem verpufft auch bei Andrea Bowers die energische Wut der Jugend rasch, zu distanziert ist der herbeigefilmte Konflikt ein kühler Beleg für die Wirkungsmacht der cultural studies.

Bei Sam Durant entwickeln sich die Verstrickungen von high und low viel komplexer. Auf neun Bleistiftzeichnungen konstruiert er ein Geflecht aus Popmusik, Land-Art und Politik. Den Ausgangspunkt bildet das Kent State Massaker 1970 in Ohio, bei dem vier Studenten erschossen wurden. Neil Young hat den Unruhen einen Song gewidmet, Robert Smithson das Drama in ein Environment aus verfallenen Häusern und Erdhaufen übersetzt. Sam Durant nimmt nun eine Skizze zu Smithsons „Partially Buried Woodshed“, die er mit Textzeilen von Young unterlegt. Später kommt ein Porträt Kurt Cobains dazu, das von depressiven Lyrics begleitet wird, die aus Neil Youngs „Hey Hey My My“ stammen – „the king is gone, but he's not forgotten“ soll Cobain bis in den Selbstmord verfolgt haben. Was als Verweissystem zunächst total kryptisch erscheint, verdichtet sich mit jedem Bild mehr zur Rekonstruktion des Ereignisses. Geschichte spielt sich in der Plattensammlung ab.

Bis 16. 5., Mi.–Fr. 14–19, Sa. 12–17 Uhr, Auguststraße 63

Sein Bild kennt man aus den Musikspalten der Stadtmagazine, und da sieht der Steel-Cello-Performer Robert Rutman meistens brummig aus. Erstaunlicherweise spiegelt sich das Ambient- und Industrial-Image des inzwischen 66jährigen Rutman in seinen künstlerischen Arbeiten kaum wider. Die Radierungen sind schwermütig und zugleich humorvoll, die Drahtskulpturen filigran, und die teils abstrakt gehaltenen Ölbilder stammen aus einer fernen Zeit in den siebziger Jahren. Die Ausstellung in der Galerie Tobias Schrade ist insofern retrospektiv angelegt, und dazu gehört bekanntermaßen auch eine biographische Geschichte.

Rutman wurde 1932 in Berlin geboren, floh mit seinen Eltern 1938 vor den Nazis nach Amerika, und kam Anfang der fünfziger Jahre als GI zurück nach Heilbronn. In Berlin hat er sich als Klangkünstler erst wieder angesiedelt, als die Mauer fiel. Dazwischen entstehen erste geometrisch reduzierte Flächen, später folgen Aktbilder, die ein wenig an die dickleibigen Damen von Fernando Botero erinnern. Dann erst findet Rutman zu seinem Material: Es ist vor allem Stahl – manchmal nur Baustellendraht, den er zu weich geschwungenen Frauenfiguren verbiegt. Andererseits wirkt eine Reihe mit Stühlen fast spielerisch, wie aus unzähligen Sekthülsen geflochten. So massiv wie die Performance-Auftritte erscheint zuletzt allein eine „Klangmauer“, in die dünne Rippen geflext wurden. Das Instrument läßt sich wie ein Xylophon bedienen, es funktioniert aber ebensogut als archaische Stahlskulptur, die Industriekult und Minimal art verbindet.

Bis 22. 4., Di.–Sa. 14–18 Uhr, Chamissoplatz 4

Das Video von Heike Baranowsky ist irreführend. Was wie ein Lehrfilm für angehende Kfz- Mechaniker aussieht, soll die Paradoxien der Zeichenwelt dokumentieren. Auf einem Monitor wird ein Motorradmotor auseinandergenommen, geputzt und eingeölt, daneben verläuft der gleiche Prozeß im Rückwärtsgang. Die Kamera ist so positioniert, daß man gerade noch die Werkbank erkennen kann. Offenbar handelt es sich um Wartungsarbeiten eines Hobby-Bikers – der Film spielt also nicht in der Arbeitswelt, sondern in der heimischen Garage. Doch die Handgriffe bleiben für den Laien undurchschaubar, was die Irritation in Sachen Zeit und Handlungsablauf noch verstärkt.

Tatsächlich ist „death/breath, tomb/womb, evil/live“, die Videoinstallation der 1966 geborenen Medienkünstlerin in der Galerie Barbara Weiss, für Ästheten gemacht. Es geht nicht um die handwerkliche Praxis der Feinmechanik, sondern um ein technisches Wissen, das sich in Baranowskys eigenem Umgang mit Apparaten abbildet. Dabei funktionieren die filmischen Montagetricks fast parallel zu der ungeheuren Geschicklichkeit, mit der hier äußerst flink eine Maschine auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt wird. Sehr behutsam und für den Betrachter kaum wahrnehmbar wurden die Aufnahmen allerdings um 20 Prozent verlangsamt, manchmal sind Großaufnahmen zwischengeschnitten, und mittendrin wird der ganze Vorgang noch einmal geloopt. Trotzdem besteht eine gewaltige Kluft zwischen dem Bild und seiner perfekten Bearbeitung: Das eine Handwerk wird heute von Robotern ausgeführt, das andere erledigen Künstler immer noch selbst am Computer.

Bis 9. 5., Di.–Fr. 12–19, Sa. 11–14 Uhr; Potsdamer Straße 93. Harald Fricke