"Hinter Fischler stehen"

■ Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf zur Reform der EU-Agrarpolitik mit der Agenda 2000. Bei einer richtigen Integration der osteuropäischen Beitrittsländer sieht er keine Gefahr für die Bauern

taz: Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), deren Vorsitzender Sie sind, begrüßt die Agenda 2000 der EU- Kommission, warum?

Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf: Die Agenda 2000 bezieht sich auf die letzten planwirtschaftlichen Relikte der Agrarpolitik, nämlich auf die staatliche Intervention, den staatlichen Aufkauf im Bereich Milch, Rindfleisch und Getreide einschließlich Ölsaaten. Der staatliche Aufkauf hat dazu geführt, daß in der EU als größtem Netto-Importeur der Welt bei Nahrungsmitteln kräftig Überschüsse entstehen. Die Preise deckten die Kosten der großen Wachstumsbetriebe, während 75 Prozent bis 80 Prozent der kleinbäuerlichen Betriebe dabei hinten runterfielen und deren Produktion von den anderen anschließend übernommen wurde. Die AbL fordert seit langem den Ausstieg aus dem Exportdumpingsystem.

Die EU-Subventionen sollen um 20 Prozent bei Getreide, Milch und Rindfleisch gesenkt werden, was bringt das?

Preissenkungen innerhalb des Subventionssystems sind der falsche Weg, es wäre vernünftiger, dieses System abzuschaffen, weil die Betriebe versuchen, auch zu diesen niedrigeren Preisen zu produzieren. Das bedeutet weitere Rationalisierung, und das bedeutet weitere Chemisierung bis hin zur Anwendung der Gentechnik. Ein weiterer guter Ansatz dieser Agenda 2000 ist, daß die für eine Übergangszeit gezahlten Prämien, die für den Preiszusammenbruch gezahlt werden, an ökologische Kriterien gebunden werden.

Was bedeutet die Agenda für die Ostwerweiterung der EU?

In Polen etwa arbeiten 25 bis 30 Prozent der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft. Wenn hier die EU-Verhältnisse kopiert würden, wäre eine derartige Massenarbeitslosigkeit programmiert. Dann gibt es einen Sturm auf Brüssel, Bonn und Paris.

Warum hat die AbL dann keine Angst vor den mitteleuropäischen Bauern?

Wenn man das EU-Agrarsystem auf die beitrittswilligen Staaten übertragen würde, gäbe es eine Katastrophe. Das niedrigere Kostenniveau plus die Exportsubventionen brächten den Zusammenbruch der regional ausgerichteten Erzeugung zugunsten von Massenproduktion. Überschußproduktion wäre die Folge.

Folglich ist die Agenda ein notwendiger Schritt, mit der diesen Staaten kein Subventionssystem mehr angeboten wird. Die Strukturpolitik zur integrierten Entwicklung des ländlichen Raumes muß den Beitrittsländern schon in der Übergangsphase des Beitritts angeboten werden, damit es nicht zu einer Zerstörung, sondern zu einer Stabilisierung dieser regionalen Bindungen kommt. Dann müssen wir vor der polnischen und der ungarischen Landwirtschaft keine Sorgen haben. Wenn diese Staaten für die eigenen Märkte erzeugen, gibt es keinen Grund zur Panik, dann müssen die eher Angst haben, daß die westliche EU-Ernährungsindustrie zur Konkurrenz wird. Davon abgesehen wäre die polnische Landwirtschaft nicht in der Lage, diese Massen zu erzeugen wie ihre EU-Kollegen.

In den letzten fünf Jahren sind nur drei Prozent des Agrarhaushalts für ökologische Reformen der Landwirtschaft umgeschichtet worden. Wieviel sind denn angestrebt, wieviel sind in weiteren fünf Jahren durchsetzbar?

In dieser zweiten Säule Strukturpolitik, die die Kommission neben die klassische Agrarpolitik setzen will, sind etwa zehn Prozent der Agrargelder vorgesehen, das sind etwa 4 bis 5 Milliarden Ecu pro Jahr. Das ist viel zuwenig, wenn man sich mal die Zerstörungen der Vergangenheit ansieht. Aber es ist eine Weichenstellung. Und es ist eine außerordentlich kluge Politik der Kommission, daß sie die Gelder vom Agrarfonds, mit dem die Export- und Agrarsubventionierung finanziert wurde, überführt in die zweite Säule. Andere Begehrlichkeiten, sich den Agrarhaushalt als Steinbruch zu nehmen, werden damit verhindert. Hier hat es einen eindeutigen Richtungswechsel gegeben, und dieser Schritt ist nicht rückgängig zu machen. Genau da wollen wir hinter Agrarkommissar Fischler stehen, wenn er umfallen will – gemeinsam mit Verbraucher- und Umweltverbänden. Ihm bläst starker Wind der Agrarlobby entgegen. Wir wollen ihm den Fluchtweg nach hinten abschneiden. Interview: Peter Sennekamp