Bundeswehr darf auch auf Deutsche schießen

■ Bis heute erlauben die Notstandsgesetze dem Staat bei inneren Unruhen extreme Maßnahmen

Freiburg (taz) – Noch immer heißt es im Grundgesetz: Die Bundeswehr kann bei innenpolitischen Unruhen auch gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden, der Staat darf Telefone abhören und Arbeitspflicht anordnen. Heute stört sich kaum noch jemand an der Existenz der Notstandsgesetze – doch in den 60er Jahren war das Engagement gegen die Regelungen gerade für die Gewerkschaften von hoher moralischer Bedeutung.

Hier wollte man zeigen, daß die Arbeitnehmer, anders als zu Beginn der 30er Jahre, bereit sind, die Demokratie wachsam zu verteidigen. Schon 1960 drohte die IG Metall notfalls mit Streik, um das Notstandspaket zu verhindern. Doch 1962 wurde die Streikdrohung wieder fallengelassen, um weniger radikale Gewerkschaften mit ins Boot zu holen.

Zeitweise gab es ein aus heutiger Sicht ungewöhnliches Bündnis mit Studentenverbänden, als dessen Architekt nicht zuletzt Jürgen Seifert gilt, der am morgigen Sonntag seinen siebzigsten Geburtstag feiert. Seifert bedauert noch heute, daß dieses Bündnis 1968 wieder zerbrach, nachdem die Studierenden „Generalstreik“ forderten und der DGB den politischen Streik ablehnte. Während im Mai 1968 70.000 zum Sternmarsch nach Bonn aufbrachen, demonstrierten die Gewerkschaften am selben Morgen in Dortmund.

Gegen die Notstandsgesetze der Großen Koalition stimmte am Ende nicht nur der SPD-Gewerkschaftsflügel um Hans Matthöfer, sondern auch die damals oppositionelle FDP. Beide wurden von Jürgen Seifert beraten. Christian Rath