Dem Haß eine Chance

■ „Kanak Sprak“: Das Junge Theater wagt sich ziemlich gekonnt an Feridun Zaimoglus ziemlich aggressiven „Deutschländer“-Rundumschlag heran

Irgendwann mußten sie ihr Maul ja mal aufreißen. Die Deutsch-Türken, Migrantenkinder, „Gastarbeiter“-Sprößlinge. Jetzt beginnen sie zu rappen, greifen zur Feder – Quatsch – setzen sich an den Computer. Nein, nicht so literarisch wie Renan Demirkan sondern hart und aggressiv wie HipHopper. Feridun Zaimoglu ist einer von ihnen. Er ist ein Wortgewaltiger, ein Lite-Rapper. Und weil er einer der ersten ist, wird er wie Renan Demirkan oder der Vorzeige-Politiker Cem Özdemir gleich ziemlich hoch gehandelt. Mit seinem kunstvollen Gestammel „Kanak Sprak“hat er die Grundlage dazu geschaffen. „Kanak Sprak“, das ist der Rap der „deutschländischen“Ghetto-Kids und -Unter-30jährigen. Und „Kanak Sprak“ist somit ein gefundenes Fressen für die Dramatiker-Abteilung des Jungen Theaters in der Friesenstraße.

„Am schwarzen Meer“heißt nur die Haltestelle, doch die türkische Küste ist weit weg, verdammt weit weg und doch auch nicht weit genug. Ein roter Vorhang tarnt zunächst das mit Palmers-Mieder-Reklame beklebte Glashäuschen. Von der diesmal steil ansteigenden Zuschauertribüne im Saal sieht es fast wie eine Bühne für das Figurentheater aus. Und schon platzt in das geflüsterte Gebet eines mehr kauernden als hockenden Moslems der Conferencier Suppenkaspar und moderiert einen Game-Show-Down namens „Deutsches Land is ne salzige Puffmutti“.

Der Zaimoglu Feridun, liebt es drastisch. So ist in seinen Short-Stories, Monologen und Bekenntnissen der Loser aus der zweiten, dritten oder vierten Generation nicht nur von Puffmuttis und Kümmelköppen die Rede. Es ist ein Stakkato von Ficken-Fressen-Scheißen, in dem Sätze wie „Ich rieche meinen eigenen, fremden Körper“oder „Wir sind hier allesamt Nigger“mit der Tür ins Haus fallen und gelegentlich Lehrformeln wie „Wir schwimmen nicht mit dem Strom, wir machen 'nen eigenen Strom“aufblitzen. In fast absatzloser Wortgewalt kommt „Kanak Sprak“als Rundumschlag und Molotow-Cocktail aus Deutsch-als-Fremdsprache, Norddeutsch, Reklamedeutsch, Sprichwortdeutsch, Märchendeutsch und multikulturellen Anglizismen daher. Dem Haß eine Chance, lautet die Devise, weil dies für manche der einzige Weg ist, eines Tages mündig zu werden.

Mathias Kopetzki, der manchmal ein bißchen an Mario Adorf erinnernde Conferencier vom Anfang, Martina Flügge und Erkan Altun schlüpfen in die Rollen der vielen Zaimoglu-Figuren. Unter der Leitung des Gastregisseurs Rainer Iwersen von der Shakespeare Company machen der arbeitslose Hüdaver, der Junkie Kücük, die Transe Azize, der Rapper Bayram oder die junge Reside keinen Hehl aus ihrem Groll. Sie heulen (mit geballter Faust), schreien (manchmal mit Zittern in der Stimme) oder lästern (mit verstecktem schlechten Gewissen).

Zur richtigen Theatertauglichkeit fehlt der Vorlage das Dialogische einerseits oder – weil es schließlich auch gute Bühnenmonologe gibt – die solistische Vielschichtigkeit. „Kanak Sprak“sind Statements, die sich in Sprachrhythmen leicht und Schlagrichtung stärker unterscheiden. Aber im Theater laufen die „Kanak-Attacken“Gefahr, daß ihnen schon vor dem letzten Vorhang die Luft ausgeht. Rainer Iwersen und das durchweg gut aufgelegte SchauspielerInnen-Trio ziehen sich mit kleinen Kunstgriffen aus der Bredouille: Bald mixen sie zwei Monologe durchaus komisch zu einem Satzfetzenpaar zusammen, bald sampeln sie gleich mehrere Abschnitte, als wär's eine Gruppensitzung. Also ist das Gute daran das Gute darin: Daß hier die Kids vom Schwarzen Meer gleich um die Ecke ihr Maul aufreißen, fernab von jedem Opferprosakitsch. Wenn sie nicht so wirklichkeitsnah wären, könnten sie kaum erfunden werden. Christoph Köster

Aufführungen: 22. bis 25. April, 20 Uhr; 26. April, 19 Uhr; zusätzlich am 25. April ab 17 Uhr eine „Grafitti-Live-Action“und ab 22 Uhr mit HipHop von und mit Mutlu