Warten auf die Kosovo-Flüchtlinge

■ Nordalbanien bereitet sich auf eine mögliche Flüchtlingswelle aus dem benachbarten Kosovo vor. Doch weitere Hilfe muß auch von außen kommen

Kzukes (taz) – Wild peitscht der Wind über den Prushi-Paß im Norden Albaniens. Ein steiniger Feldweg windet sich steil zur Anhöhe hinauf und auf der anderen Seite hinunter in die von Albanern bewohnte jugoslawische Provinz Kosovo. Ohne allradgetriebene Fahrzeuge ist diese Passage kaum zu bewältigen. Doch nicht deshalb ist der Verkehr hier zum Erliegen gekommen. Vielmehr ist die Grenze hier wegen der Unruhen im Kosovo seit zwei Jahren geschlossen. Das albanische Zollgebäude dient nun den Aufklärern der Norddivision der albanischen Armee als Basis. Emir, ein 28jähriger Späher, kontrolliert mit Fernrohr und Kalaschnikow die durch menschenleeres Terrain führende Staatsgrenze. „Auf der serbischen Seite registrieren wir beträchtliche Infanterie-Konzentrationen“, sagt er. Der Aufmarsch diene dazu, kosovo-albanische „Grenzgänger“ von ihren Touren abzuhalten.

Die Aktivitäten der militanten „Kosovo-Befreiungsarmee“ (UCK) in der jugoslawischen Nachbarprovinz führten zu Spekulationen, wie diese Guerillatruppe an ihre Waffen kommt. Seit April 1996 verübte die UCK im gesamten Kosovo Anschläge auf serbische Polizisten und sogenannte albanische Kollaborateure. Anfang März massakrierten serbische Sondereinheiten in der Region Drenica westlich von Priština mindestens 80 albanische Zivilisten, unter ihnen zahlreiche Frauen und Kinder. Das Blutbad war der Auftakt zu einer Großoffensive gegen die UCK. Deren Kämpfer zogen sich ins Innere der Region zurück und leisten – von der Bevölkerung unterstützt – den serbischen Einheiten offenbar immer noch Widerstand. Am Freitag forderte das albanische Parlament die Stationierung von Nato-Truppen im Kosovo und an den Grenzen der Provinz, um eine Ausweitung des Konflikts zu verhindern.

Die Grenze zwischen Nordalbanien und dem Kosovo ist kaum zu kontrollieren. Albaniens Armee war bei den innenpolitischen Unruhen im März vergangenen Jahres praktisch zerfallen. Kasernen wurden geplündert, Waffen und Ausrüstungen verschwanden. Die vom energischen General Kudusi Lama aufgestellte Norddivision soll nun den über hundert Kilometer langen Grenzverlauf sichern. Die Beobachtungsposten und Späher – wie Emir vom Prushi-Paß – haben kaum Funkgeräte. Nachtsichtgeräte kennt man hier nur aus US-Filmen. Die wesentlich besser versorgten serbischen Soldaten auf der anderen Seite befinden sich widerum in einem ihnen fremden Terrain mit einer ihnen feindselig gesinnten Bevölkerung.

Doch zur Zeit wird diese nicht direkt an Drenica angrenzende Region von der UCK wohl noch nicht als Durchzugs- und Rückzugsbasis genutzt. Ein in der Bezirkshauptstadt Kukes stationierter EU-Militärbeobachter ist sich der Schwierigkeiten seiner Mission durchaus bewußt. „Aber wir sind seit Monaten hier, haben vertrauensvolle Kontakte zu allen möglichen Leuten aufgebaut. Wenn da was liefe, würden wir's mitbekommen, auch wenn man's uns nicht auf die Nase bindet.“

Im Dorf Letaj, gleich unter dem Prushi-Paß, versammeln sich die Männer in einer als Wirtshaus dienenden Betonhütte mit Fensterlöchern zum Dominospiel. Auf Kisten und Bänken sitzen sie um einen wackligen Tisch. Seit der Schließung des Grenzübergangs, der Einkünfte aus dem Zigarettenhandel sicherte, müssen sie von der kargen Landwirtschaft leben. Fast jeder hat Verwandte „drüben“. Betroffenheit und Ratlosigkeit sind groß. „Wie sollen wir, die wir nichts haben, helfen, wenn nicht einmal Amerika und Deutschland etwas bewirken können?“ fragt der 43jährige Isuf Haliti.

Auch in der 50 Kilometer entfernten Bezirkshauptstadt Kukes mit 12.000 Einwohnern ist Schmalhans Küchenmeister. Die umliegenden Chrom- und Nickelbergwerke liegen seit der Wende weitgehend still. Es fehlt Geld, um die zusammengebrochene Technik aus der Zeit chinesischer Berater zu erneuern. Wie auf einen Messias wartet man auf kanadische oder britische Investoren. 40 Prozent der Familien in Kukes halten sich mit Sozialhilfe über Wasser. Dennoch richtet man sich auf eine mögliche Flüchtlingswelle aus dem Kosovo ein. „Wir haben Kapazitäten für die Aufnahme von 5.000 Menschen festgelegt“, sagt der Präfekt Qemal Elezi. „Wir können aber lediglich die Unterbringung sichern. Nahrungsmittel, Medikamente, Matratzen, Kleidung muß irgend jemand von außerhalb bringen.“ Gregor Mayer