Der Südpol franst weiter aus

Ein Eisberg von der Größe Hannovers bricht aus dem antarktischen Eispanzer heraus. Möglicherweise zerbröselt das Schelfeis wegen einer Klimaveränderung  ■ Von Niels Boeing

Die Eisränder der Antarktis bröckeln weiter. Ein etwa 200 Quadratkilometer großer Eisberg ist Ende März aus dem Larsen-B-Schelfeis südlich von Feuerland herausgebrochen. Satellitenaufnahmen, die das US-amerikanische National Snow and Ice Data Center (NSIDC) auswertete, zeigen eine klaffende Lücke von der Größe Hannovers in dem Packeisgebiet an der Antarktischen Halbinsel.

Klimaforscher halten es für möglich, daß eine Klimaveränderung in der Region das allmähliche Zerbrechen des Larsen-Schelfeises verursacht. Um 2,5 Grad Celsius hat sich in den letzten 40 Jahren die Durchschnittstemperatur auf der Antarktischen Halbinsel erhöht, die wie ein schmaler Finger in Richtung Südamerika in den Ozean hineinragt. Einige Wissenschaftler vermuten, daß über Jahrtausende aufgebaute Spannungen im Eispanzer für das Auseinanderbrechen verantwortlich sind.

„Bis vor rund zehn Jahren war das Larsen-Schelfeis stabil“, sagt Heinz Miller, Geophysiker und Eisforscher am Alfred-Wegener- Institut in Bremerhaven. Vor drei Jahren brach der gesamte nördliche Teil des Larsen-Schelfeises weg: 2.000 Quadratkilometer Eis, das Zehnfache des jetzigen Eisberges, trieben nach Norden ins Weddell-Meer davon. Sollte der Rand des Schelfs weiter abbröckeln, befürchtet David Vaughan vom British Antarctic Survey, daß in einigen Jahren das Larsen-Schelfeis vollständig verschwunden sein könnte. Vaughan vergleicht die gewaltige, aber empfindliche Eisplatte des Schelfs, die auf dem Ozean schwimmt, mit einer Brücke: „Sie können aus den Brückenpfeilern eine Weile einzelne Steine herausnehmen, ohne daß etwas passiert. Aber irgendwann sind die Pfeiler so löchrig, daß die Brücke zusammenkracht.“ In die Risse des berstenden Schelfeises dringt während des antarktischen Sommers Schmelzwasser und verhindert ein Zufrieren. So brechen immer neue Stücke aus der Eisdecke.

Weder Miller noch Vaughan glauben, daß sich das Verschwinden des Larsen-Schelfeises auf das globale Klima auswirken könnte. „Es handelt sich um ein lokales Phänomen“, versichert Heinz Miller. In der restlichen Antarktis gebe es bisher keine Hinweise für ein Abschmelzen der Gletschermassen. Die abgebrochenen Eisberge können auch nicht in den Atlantik entkommen und dort den Salzgehalt und dadurch die Temperaturströme im Ozean verändern. Ein Ringstrom, der die Antarktis umkreist, fängt die kalten Kolosse ab.

Das Verschwinden des Larsen- Schelfeises könnte allenfalls die Reflexion des Sonnenlichts durch den antarktischen Eispanzer etwas verringern, da dessen Fläche abnimmt. Je schwächer die Reflexion ist, desto mehr kann die Sonnenenergie zur Aufheizung der Erdatmosphäre beitragen. Allerdings ist bisher nur ein halbes Prozent der gesamten antarktischen Schelfeisfläche verschwunden.

Die Höhe des Meeresspiegels wird sich durch abgebrochene Schelfeisberge nicht ändern. Denn Schelfeis schwimmt auf dem Ozean, obwohl es am Festland festgefroren ist. Schwimmendes Eis, das auftaut, ändert aber nicht die Wassermenge des Ozeans.