Analyse: Teure Verblendung
■ Zahnärzte versuchen, das meiste aus den Patienten herauszuschlagen
Es gibt Reformen, die komplett versagen. Es gibt Minister, die nicht wissen, was sie anrichten. Und es gibt Zahnärzte, die alles, was sich ihnen bietet, mitnehmen. Die überwiegende Anzahl der Dentisten soll zuviel Honorar berechnen. Geht es um Zahnersatz, verlangen sie Geld für den Kostenvoranschlag, häufig mehr als 50 Mark. Auch wenn die Patienten zur Standardversorgung noch Wünsche anmelden, etwa eine Keramikverblendung, veranschlagen viele Zahnärzte gleich für die gesamte Behandlung höhere Honorarsätze.
Nicht wenige Zahnärzte verfahren nach dem Motto: Nicht der Kunde, ich bin König. Die AOK Rheinland-Pfalz schätzt, daß 65 Prozent aller Heil- und Kostenpläne überhöht sind. Krankenkassen geißeln die Dentisten als Abzocker, Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) zückt verschämt die gelbe Karte. Die Patienten aber sind schwer verunsichert.
Es war abzusehen. Bis heute weigert sich die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV), die zulässige Honorarhöhe zu akzeptieren. Seit Jahresanfang müssen Zahnärzte Kronen, Brücken und Zahnprothesen direkt mit dem Patienten abrechnen, und zwar nach der privaten Gebührenordnung (GOZ). Der Heil- und Kostenplan ist nach dem Gesetz kostenfrei. Die Honorare für Standardleistungen sind auf den 1,7fachen Satz (Ost: 1,86facher Satz) dieser GOZ festgelegt. Die Krankenkassen haben bei dem Privatvertrag zwischen Arzt und Patient nichts mehr zu sagen, sie gewähren dem Versicherten lediglich einen festen Zuschuß zu den Kosten – egal ob man mit der Metallkrone vorliebnimmt oder das teurere Keramikmodell bevorzugt. Die Honorarbeschränkungen gelten bis 1999, danach dürfen die Dentisten ihre Preise ohnehin frei aushandeln. Doch Zahnärzte können nicht warten. Wie viele von ihnen die Patienten jetzt mit erhöhten Honoraren geschröpft haben, vermag das Bundesgesundheitsamt nicht zu sagen.
Möglicherweise haben Dentisten in gutem Glauben abgezockt. Die ZKBV mochte das gedeckelte Honorar für Sonderleistungen nicht akzeptieren. Und erst vor wenigen Wochen informierte er die Dentisten von der Rechtsauffassung des Gesundheitsministers. Deswegen will Seehofer den Zahnärzten noch eine Chance einräumen, bevor er die Gebührenordnung ändert oder am Gesundheitsreformgesetz herumdoktert. Geht es aber nach der Standesspitze, werden die Zahnärzte hart bleiben. Die KZBV empfiehlt, den Streit in den Praxen auszutragen. Da steht der Patient und kann seinem Zahnarzt nicht mehr trauen. Die Kassen raten dringend, die Kostenvoranschläge zur Prüfung vorzulegen, bevor der Arzt zum Bohrer greift. Denn, Seehofer sei Dank, vor den Risiken des privatisierten Gesundheitswesens darf die Solidargemeinschaft nicht mehr schützen. Annette Rogalla
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