Die RAF-Sondergesetze sind fällig

■ Landesjustizminister Caesar (FDP) und von Plottnitz (Grüne) fordern Aufhebung von Antiterrorgesetzen, nachdem die RAF ihre Selbstauflösung erklärt hat. Trennscheibe zwischen Angeklagten und Verteidigern soll fallen

Berlin/Freiburg (taz) – Nach der Selbstauflösung der RAF fordern namhafte Rechtspolitiker, die Antiterrorgesetze zu überprüfen. Die Justizminister von Rheinland-Pfalz und Hessen, Peter Caesar (FDP) und Rupert von Plottnitz (Bündnisgrüne), kündigten gegenüber der taz eine Initiative unter ihren LänderkollegInnen an. „Um ein Zeichen zu setzen“, wollen sie die im Zuge der RAF-Verfolgung stark eingeschränkten Möglichkeiten der Verteidiger wieder auf ein rechtsstaatliches Niveau bringen. „Die Trennscheibe muß weg“, spielte Peter Caesar auf das Kontaktsperregesetz an. „Spätestens jetzt ist der richtige Zeitpunkt“, sagte Plottnitz. Das Kontaktsperregesetz unterbindet das Gespräch zwischen Anwalt und Verdächtigen – das verstößt gegen rechtsstaatliche Grundsätze.

Die Rote Armee Fraktion hatte am Montag nach mehrjähriger Feuerpause ihre Auflösung bekanntgegeben. Weder Bundeskriminalamt noch Verfassungsschutz äußerten gestern noch Zweifel an der Echtheit des achtseitigen Schreibens. Die in den 70er Jahren entstandene RAF teilt darin mit: „Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte.“

Ablehnend reagierten Politiker der Union auf die Forderung nach Aufhebung der Antiterrorgesetze. Ihr rechtspolitischer Sprecher Norbert Geis sprach von Kurzsichtigkeit, der Staat dürfe „nicht wehrlos“ sein. Innenminister Kanther (CDU) sprach sich gegen eine Amnestie für die RAF-Gefangenen aus. Und auch der stellvertretende SPD-Vorsitzende Otto Schily forderte nur die Lockerung einzelner Bestimmungen. Der Ausbau des Bundeskriminalamts dürfe nicht in Frage gestellt werden. Verfassungsschützer wie der Chef des Landesamtes in Sachsen-Anhalt wandten sich gegen eine vorschnelle Lockerung der Antiterrorgesetze. Zunächst sei zu prüfen, was sie gebracht hätten.

Die bündnisgrüne Bundestagsfraktion erneuerte hingegen gestern ihre Forderung, den Staat „abzurüsten“. In Kürze wird der Bundestag daher einen Antrag der Grünen aus dem Jahr 1997 auf Rücknahme der Antiterrorgesetze behandeln. Ihre Beseitigung wäre mit einfacher Mehrheit möglich, da die Antiterrorgesetze nicht in der Verfassung verankert sind. Der bündnisgrüne Rechtsexperte Wolfgang Wieland sagte, „die schlimmsten Auswüchse der Terrorhysterie müssen wieder zurückgefahren werden“. Die Bundesrepublik sei mit der RAF-Verfolgung an ihrem Tiefstpunkt in der rechtsstaatlichen Gestaltung des Strafprozeßrechts angelangt. Wieland nannte als Beispiel die Paragraphen 129 und 129a des Strafgesetzbuches.

Mit dem Paragraphen 129a wird nicht nur die Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung“ unter Strafe gestellt, sondern bereits die „Unterstützung“ und „Werbung“. In den 80er Jahren wurde der Terrorismus-Begriff zudem immer stärker ausgeweitet. Unter dem Eindruck des militanten Widerstandes gegen die Startbahn West in Frankfurt und die geplante Atommüll-Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf wurden per Gesetz auch Sabotageakte gegen Verkehrswege und Baumaschinen zu „Terrorismus“ erklärt. In den Jahren 1980 bis 1996 wurden gegen mehr als 6.000 Menschen Verfahren nach Paragraph 129a eingeleitet – in fast 80 Prozent der Fälle ging es um „Unterstützung“ und „Werbung“.

Gestrichen werden sollen auch Sonderbestimmungen, die an den 129er anknüpfen: Anwälte dürfen nicht mehrere Angeklagte gleichzeitig vertreten. Seit 1989 gibt es schließlich eine immer wieder verlängerte Kronzeugenregelung, die bisher kaum greifbare Erfolge zeitigte.

Zahlreiche weitere Antiterrorbestimmungen bleiben von den Grünen unerwähnt, um ihren Antrag „zustimmungsfähig“ zu halten. Eine vollständige Abschaffung des „justitiellen Ausnahmezustandes“ fordert nur der Republikanische Anwaltsverein. Er will auch Maßnahmen wie die obligatorische Kontrolle der Verteidigerpost oder besondere Fahndungsrechte für die Polizei abgeschafft wissen. Christian Füller, Christian Rath Tagesthema Seite 3, Dokumentation der RAF-Erklärung Seiten 12 und 13, Debatte Seite 14