Noch 50 Tage

■ Fußball-WM in Frankreich. Und ARD & ZDF ziehen diesmal am selben Strang. Irre

Das muß man sich mal vorstellen (meint der WDR): „32 Mannschaften spielen um den Titel, 64 Spiele stehen auf dem Programm, in 27 Spieltagen sind 6.000 Sendeminuten allein für das Fernsehen zu bewältigen.“ Um das vorzustellen, reicht eine Pressekonferenz im Kölner WDR-Gemäuer, ungefähr 120 Minuten mit lauter Vorstoppern, die sich den ganzen Quatsch merken müssen: die sogenannten „Medienpartner“ eben. WM in Frankreich. ARD & ZDF ziehen diesmal an einem Strang. Irre.

Noch 50 Tage. Alle Register ziehen, unser letztes Hurra in diesem Jahrtausend. Gerhard Delling hat Geburtstag und ist Vater einer gesunden Tochter geworden, und Pleitgen hat als Sportreporter begonnen. Noch 50 Tage, 60 Kameras, plus 5 bei jedem Spiel der deutschen Mannschaft. Die technische Ausstattung ist state of the art. Gerhard Rubenbauer trinkt Wasser aus der Flasche, Kerner dagegen aus dem Glas. Kritische Situationen werden in aller Ruhe analysiert. Fußballfest, gemeinsam, Publikum, Großereignis. Spezialist für Schottland: Andreas Thom, für Italien & Frankreich: Rudi Völler. Frankreich ist schließlich unser wichtigstes Nachbarland. Für Spaß sorgen Gummipuppen von Beckenbauer und Faßbender.

Klaus Bresser betont „Superlativ“ so wie „superb“ und hofft, daß Deutschland Weltmeister wird, und glaubt, daß die Computertechnik des ZDF der der ARD überlegen ist, bei aller Freundschaft. Die Welt feiert. Mit Blick auf sogar die Schoooungselüüseh. SuPERlativ.

Töppi „Leierkasten“ Töpperwien reagiert auf ausgerichtete Grüße mit einem jovialen „zurück, zurück!“ und trägt weiße Hemdkragen zu gestreiftem Rest, weil man das so macht. Fète de la, le, li, lo, lu, jedenfalls: football. Kerner ist ein Schelm und tritt einer Ordnungskraft den Ball aus den Händen, lächelt gewitzt dazu, bis jemand ein Foto von ihm macht, so mag er's. Er ist auch der einzige, der das Badge mit dem blöden Logo trägt, weil er immer alles mitmachen muß. Profigroupie Waldi Hartmann drängelt sich derweil mal wieder an die Stars, sitzt zwischen Netzer und Feldkamp.

Günter Netzer wird im Internet anzutreffen sein, das heißt dann „Internetzer“, und über so was lacht man in der ARD. Klaus Schwarze setzt auch auf das Internet, obwohl er gar nicht zu wissen scheint, was das ist, denn er redet irgend was von „joysticks runterladen“ und „Pannel“. Heribert Faßbender sagt „Bonjour à tous“, von wg. Frankreich und so, außerdem scheint er im Solarium eingesperrt gewesen zu sein: krebsrot.

Nach dem Kleinkunstpreis eine weitere gerechte Strafe für Kabarettist Dieter Nuhr: Er wird „verbindendes Programmelement“ des ZDF. „Wir Männer, sag' ich mal“, sagt mal Herr Figgemeier, der echt so heißt. Als Experten hat das ZDF noch einen lustigen Neger engagiert, nicht Mandela oder Roberto Blanco — also Pelé. „Virtual Replay“ heißt die 3D-Animation, auf die alle so stolz sind. Und Dieter Gruschnitt hält eine Gala mit Pur und Rod Stewart für einen „würdigen Abschluß“.

Die „uns anvertrauten Gebühren“ werden maßvoll eingesetzt, verspricht das Podium geschlossen. Widersprüchlich wirkt da die Verpflichtung des Michael Steinbrecher des WDR: Bettina „große Samstagsabendshow“ Böttinger. Sie ist für die Darstellung von Land und aber auch Leuten zuständig, wofür auch sonst?

Herr Pleitgen nennt sich Teamchef. 300 Stunden Übertragungsprogramm, Nagano waren nur 120. Und damit die irgendwie rumgehen, hat sich das ZDF von der Universität Witten/Herdecke ein „Fußballbörsenspiel im Internet“ unterjubeln lassen. Derweil singen die 3 Tenöre. Immer noch 50 Tage. Benjamin v. Stuckrad-Barre