Die zehn Gebote, bloß ohne Gott

Am Sonntag ist Jugendweihe in Hamburg. 300 Vierzehnjährige machen mit  ■ Von Christine Holch

„Kriegt Ihr Drogen an Eurer Schule?“fragt die Kursleiterin. „Na klar“, rufen die Jugendlichen, „Hasch, Zigaretten, Gras, Alkohol.“Jeder versucht, den anderen zu überschreien. Und, hat schon mal einer illegale Drogen genommen? Zwei rauchen Hasch. „Aber nur einmal im Monat.“Kursleiterin Jill Sausaat, eine 24jährige Sparkassenangestellte, redet den beiden ins Gewissen. Erzählt von ihrer Freundin, die mittlerweile an der Nadel hängt.

Der Eimsbütteler Kursus zur Vorbereitung auf die Jugendweihe, einem weltlichen Ersatz für die Konfirmation, läuft nicht viel anders ab als eine Schulstunde. Und doch kommen die 14- bis 15jährigen jede Woche wieder gern. Es gibt nicht viele Angebote für 14jährige, sagen sie. Und Björn mit der Stüssy-Kappe meint: „Im Haus der Jugend kriegst du doch gleich einen auf die Glocke.“

Eine Feier wie die Konfirmation wollen sie alle haben – schon wegen der Geschenke. Sechs in der Gruppe wollen sich davon einen Computer kaufen. „Ich krieg' allein schon von meiner Oma einen Tausender“, trumpft einer auf. Bloß auf die Kirche hat niemand Lust. „Mit der will ich nichts zu tun haben“, sagt Steffi knapp, „ich bin auch nicht getauft.“Jenny hingegen ist früher gern zur Kinderkirche gegangen, doch die Erwachsenengottesdienste mit ihrem „langweiligen Gesinge“öden sie an.

Zwei Organisationen bieten in Hamburg mit Hilfe von Ehrenamtlichen mehrmonatige Vorbereitungskurse und die darauf folgende Jugendweihe im Frühjahr an. Sie haben natürlich anderes im Kopf als den Geldsegen. Orientierung wollen sie bieten, „humanistische Werte“vermitteln. Sozusagen die zehn Gebote, bloß ohne Gott. In Eimsbüttel sprechen die Jugendlichen über Menschenrechte, die Todesstrafe, Gleichberechtigung. Zum Themenkanon gehören außerdem Ausländerfeindlichkeit und Nationalsozialismus.

Auch Wunschthemen sind möglich. Gewalt unter Jugendlichen, darüber wollen viele sprechen. Oder über ihre Lieblingsmusik. Über Liebe und Sexualität. „Mein Freund möchte mit mir in Bett gehen, aber ich will noch nicht“, erzählte eine 15jährige einmal Konny Neumann, dem zweiten Vorsitzenden des Vereins „Jugendweihe Hamburg“. Ein Jugendlicher Nichtraucher wird von seinen rauchenden Freunden als Feigling bezeichnet; ein dritter weiß nicht, wie er eine Lehrstelle bekommt.

„In gewisser Weise sind wir sozialarbeiterisch tätig“, sagt Neumann, von Beruf Leiter eines Gymnasiums. Mit Parteipolitik habe die Jugendweihe nichts zu tun. Bei der Feier wird kein Gelöbnis abgelegt, schon gar nicht auf den Sozialismus, wie einst in der DDR.

Dabei hat die Jugendweihe eine sehr politische Geschichte. 1890 feierten konfessionslose Familien zum ersten Mal in Hamburg eine weltliche Jugendfeier. Die Erfinder waren freidenkerische Sozialisten und Kommunisten. Wichtigstes Ziel des Unterrichts war es damals, über die Defizite der Gesellschaftsordnung aufzuklären. Schon bald saßen Polizeibeamte in den Vortragssälen. Verbote folgten, man setze sich darüber hinweg.

Zulauf erhielt die Bewegung vor allem nach dem 1. Weltkrieg – die Kirche hatte Waffen gesegnet und sich dadurch vollends diskreditiert. In den 20er Jahren nahmen in Hamburgs Arbeitervierteln bis zu 30 Prozent der Jugendlichen an der Weihe teil. Während des Dritten Reiches war sie verboten.

Zwar gab es bereits ab 1946 wieder Jugendweihen in Hamburg, doch es kamen immer weniger Jugendliche. „Themen, die früher Monopolthemen der Jugendweihe gewesen waren, Sexualkunde zum Beispiel, wurden endlich in den Schulunterricht übernommen“, sagt Konny Neumann, „damit hat sich die Jugendweihe indirekt selbst erledigt.“Seit einigen Jahren aber steigen die Teilnehmerzahlen wieder: dieses Jahr auf knapp 300. Konfirmieren lassen sich an die 7.000 HamburgerInnen.

Allerdings bestimmt mit anderen Liedern als die Jugendweihlinge. Die suchen sich nämlich regelmäßig Songs wie „Mein Freund der Baum“von Alexandra aus. Sie rezitieren die „Fragen eines lesenden Arbeiters“von Brecht. Und manchmal auch „Alles verändert sich“von Ton-Steine-Scherben.

Feier der „Jugendweihe Hamburg“: Sonntag um 10.30 Uhr, Kleine Musikhalle. Weihe der „Arbeitsgemeinschaft Jugendweihe“: 16.5. um 10.30 Uhr, Friedrich-Ebert-Halle Harburg.