■ Nachschlag: Etwas für GummifetischistInnen: The Cramps in der Kulturbrauerei
Irgendwie sind die Siebziger, die Achtziger nicht vorbei. Jedenfalls nicht für Leute wie Lux Interior and Poison Ivy Rohrschach. Nicht für Teds, Mods und Rockabillies. Nicht für alternde Drogensüchtige. Das ist nicht besonders aufregend und bedürfte keiner weiteren Erwähnung, auch nicht, daß die Cramps seit 1975 jeden Laden mit ihrem „Can your Pussy Do the Dog“-Rock 'n' Roll vollkriegen. Interessant ist vielmehr, daß das, was die spitzenbodytragenden, tätowierten Poison-Ivy-Doubles, die lederjackentragenden Halbstarken vor dem Konzert die ganze Zeit anpreisen, wahre Authentizität nämlich, bei den Cramps wohl genausowenig hinhaut wie bei den Rolling Stones. Diese Show war genau gleich wie die vor vier Jahren, wobei ich diesmal nicht darauf gewartet habe, bis sich Lux Interior auf die Lautsprecherboxen hangelt, die Hose auszieht und, über seine High Heels stolpernd, von oben runterfliegt. Das ist dann mehr was für die Gummifetisch-LiebhaberInnen, weil er sich bei dieser Bühneneinlage ganz besonders vorteilhaft in seinem schwarzen Gummi-T-Shirt macht.
Daß der Bassist auch bei Urge Overkill mitspielen könnte oder meinetwegen als repressiver Sadist in Krankenschwesterklamotten in einem Fassbinder-Film, daß es bei den Cramps um lang gelebtes Gender-Crossdressing geht, daß der Schlagzeuger wahrscheinlich, nach Mick Jagger der erste geliftete Popstar ist, das spricht schon alles enorm für diese Band. Auch daß sie den goldenen Vorhang mit rotem Splatter-Cramps-Logo drauf seit Jahrzehnten benutzen, um so was wie eine „Incredible strange Music“-Umgebung, eine runtergekommene Bar, einen „Lap Dance Bondage“-Club oder einfach nur ein Rockabilly-Diner herzustellen, ist wirklich prima. Das Publikum allerdings sieht eher danach aus, Home-Pornos für Verona Feldbusch drehen zu wollen, als daß einer von den Jungs hier jemals in Stöckelschuhe steigen und sich die Peitsche geben würde. Das macht dann schon Lux Interior, das innere Licht. Art and Schamanism war das mal, der peitschende, vor und zurück schaukelnde Shaking Beat, die zur Katze morphende Poison und der außer sich seiende Lux. Jetzt passiert auf der Bühne eigentlich recht wenig, noch weniger bei Herrn Interior, der durch seine LSD-Westküstenbrillengläser durchsieht und sich an der Rotweinflasche festhält.
Gut, daß die beiden seit 1974 nicht nur ein Paar sind, sondern auch einen Laden mit ihrer Sammlung an seltsamen Platten, Videos und Zines füllen können. Das Erbe des Rockabilly liegt hier in den besten Händen. Annette Weber
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