Exerzitien in Übergröße

■ Bin stur, male pur: Die Wuppertaler Retrospektive mit Arbeiten von Markus Lüpertz ist ein Ausflug in die jahrhundertealte Beschäftigung mit den Regeln von Form, Farbe und Struktur

So richtig jung sind sie alle nicht mehr: Georg Baselitz und Karl Horst Hödicke haben im Januar ihren Sechzigsten gefeiert, A.R. Penck wird 59, Jörg Immendorf ist 53 Jahre alt und Markus Lüpertz 57. In der deutschen Kunstszene gelten diese älteren Herren trotzdem noch immer als die „Wilden“, als jene Erneuerer der europäischen Kunst, die in den sechziger Jahren die Malerei vom scheinbar übermächtigen Abstrakten Expressionismus aus New York befreiten und ihr Gegenständlichkeit und Ausdruck zurückgaben.

Während vor allem Georg Baselitz der Mythos dieses fast dreißig Jahre zurückliegenden Engagements seither seinen Platz im internationalen Künstlerolymp gesichert hat, kämpft Markus Lüpertz nach wie vor darum.

Als mit dem Stedelijk Museum in Amsterdam vergangenes Jahr eines der weltweit bedeutendsten Häuser für zeitgenössische Kunst den Maler mit einer Ausstellung ehrte, nahm das kaum eine der überregionalen Zeitungen in seiner deutschen Heimat wahr. Er sei das gewohnt, sagt Lüpertz selbst, schließlich führe er seit dreißig Jahren einen Krieg gegen die Kunstkritik. Die verlange von jedem Künstler immer wieder neue Ideen und aktuelle Zeitbezüge; diesen Bedarf zu befriedigen, sei er nicht bereit.

Lüpertz' Thema ist die Malerei selbst, sind die jahrhundertealten Probleme von Komposition und Farbauftrag, von Struktur und Zusammenspiel. Wie stark und erfolgreich er systematisch in Motivserien um Lösungen ringt, ist jetzt in einer umfassenden Retrospektive zu sehen, die nach München und Linz nun bis Anfang Mai in Wuppertal gezeigt wird. Von 1964 bis in die unmittelbare Gegenwart reichen die 141 Werke, die Lüpertz-Freund Siegfried Gohr zusammengestellt hat.

Der von Museumsdirektorin Sabine Fehlemann klug, wenn auch leider recht beengt gehängte Parcours beginnt mit den „dithyrambischen“ Werken der sechziger Jahre, in denen Lüpertz, inspiriert durch Nietzsches Hommage an die altgriechischen Initiationsriten der Erneuerung, mit Verve den Gegenstand feiert. Er führt über eine Annäherung an die Abstraktion in den „Stil-Bildern“ der siebziger Jahre zu den „deutschen Motiven“, mit denen Lüpertz für Aufsehen sorgte und die ihm den – unberechtigten – Ruf des Nationalisten eintrugen.

Übergroße Weintrauben, Stahlhelme, Violinschnecken und Uniformmützen erhoben Motive, Mythen und Themen zur Bildwürdigkeit, die die deutsche Nachkriegsgesellschaft bis dahin erfolgreich vedrängt hatte. Leider sind Motive dieser Serie nur in den dafür zu niedrigen Wechselausstellungsräumen des Museums zu sehen. Im großen Tageslichtsaal im Obergeschoß, heißt es, sei dafür einfach kein Platz gewesen.

Dort sind dafür in ausgezeichneten Beispielen die „Exerzitien- Bilder“ zu sehen, in denen Markus Lüpertz in den achtziger Jahren, vom 20. Jahrhundert ausgehend, die künstlerischen Grundpositionen vom Kubismus bis zurück zu Corot und Poussin durcharbeitet. Die traurige, einsame Stimmung jener Werke nehmen in den Neunzigern die Serie „Männer ohne Frauen – Parsifal“ und die jüngsten Arbeiten wieder auf.

Direkt aus seinem Düsseldorfer Atelier sind jene „Landschaften“ in die Ausstellung gekommen, die zuvor schon Lüpertz' Galerist Michael Werner in Köln gezeigt hatte. Ihm selbst sei das gar nicht so recht, meint der Maler: „Bilder werden gemalt, um aus dem Chaos des Ateliers in die Ordnung einer Ausstellung zu gelangen und sich dort dem Urteil eines Gegenüber zu stellen. Mir ist es lieber, wenn sich Bilder erst absetzen können, bevor sie ausgestellt werden.“

Als „Dandy“ ist Markus Lüpertz oft kategorisiert worden, als arroganter „Malerfürst“ und überschätzter Neo-Expressionist. Wer die Wuppertaler Ausstellung besucht, wird feststellen, daß keine dieser auf äußerem Eindruck beruhenden Einordnungen dem traditionsbewußt selbstreflexiven Kunstbegriff tatsächlich gerecht wird, den Lüpertz in seinem Auftreten auch lebt.

Wer sich in der Retrospektive auf Lüpertz Bildwelten einläßt, wird eine dunkle Melancholie wiederfinden, die lebensfrohe Farben in ihre Schranken weist. Stefan Koldehoff

„Markus Lüpertz – Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen“. Von- der-Heydt-Museum Wuppertal, bis 3. Mai 1998.

Katalog: Hirmer-Verlag, München, 237 S., 42 Mark