Sachsen-anhaltische Männerfeindschaft

Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) hofft auf einen Wahlsieg für Rot-Grün. Kommt es aber zu einer Großen Koalition, wird CDU-Spitzenkandidat Christoph Bergner kaum im Kabinett sitzen  ■ Aus Magdeburg Toralf Staud

Der Mitteldeutsche Rundfunk hatte an alles gedacht. Nicht länger als irgend nötig mußten sich Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reinhard Höppner und sein CDU- Herausforderer Christoph Bergner in einem Raum aufhalten, als sie am Donnerstag abend zu einem Fernsehduell aufeinandertrafen – schließlich weiß in Sachsen-Anhalt jeder, daß sich beide absolut nicht ausstehen können. In getrennten Autos wurden sie, als die Maskenbildner fertig geschminkt hatten, in den Studiokomplex gefahren. Höppner vorneweg. Drei Minuten später schlendert dann Bergner zu seinem Wagen, demonstrativ locker, lächelnd.

Sämtliche Umfragen sehen für Bergner und seine Partei bei der morgigen Landtagswahl ein Desaster voraus. Die CDU kann knapp 25 Prozent der Stimmen erwarten, vor vier Jahren bekam sie noch 34,4 Prozent. Die SPD im Schröder-Aufwind liegt mit über 40 Prozent (1994: 34,0) außer Sichtweite. Bei den kleinen Parteien weichen die Meinungsforschungsinstitute voneinander ab. FDP und Grüne werden mal über, mal unter der Fünfprozenthürde gesehen. Die rechtsextreme DVU wird dagegen mehrheitlich im Landtag erwartet. Die Zahlen für die PDS schwanken zwischen 17 und 22 Prozent (1994: 19,9).

CDU-Spitzenkandidat Bergner nennt es „grotesk“, daß die „schlechteste Regierung aller neuen Bundesländer“ die besten Umfragen einfährt. Stets betont er, daß Sachsen-Anhalt mit über 23 Prozent die höchste Arbeitslosenquote Ostdeutschlands aufweist und mit 0,6 Prozent das niedrigste Wirtschaftswachstum.

Vor laufenden MDR-Kameras kontert SPD-Landesvater Höppner, daß seine Regierung die „rote Laterne“ schon von den CDU- FDP-Vorgängern übernommen habe. In der Tat ist nach 1989 in kaum einem Bundesland die Wirtschaft so gründlich zusammengebrochen wie in Sachsen-Anhalt. Die miese Lage lasten die Wähler vor allem der Bundesregierung und speziell dem Kanzler an.

Sozialdemokrat Höppner betont, sein Land sei Spitze bei den Neuinvestitionen. Ganz staatsmännisch mahnt er seinen Gegner in der Fernsehdiskussion, das Land nicht schlechtzureden, und streichelt dann die Seele der Zuschauer, die in den vergangenen Jahren Tolles vollbracht hätten: „Es gibt viele Leute im Lande, die die Ärmel hochkrempeln. Daß es schwierig bleibt, ist klar.“ Zielstrebig hat sich Höppner seit 1994 als Sprachrohr für Ostbefindlichkeiten profiliert. „Mit dem Begriff Unrechtsstaat ist die DDR nicht hinreichend beschrieben“, sagte er und warf der DDR als „historische Schuld“ vor, die Idee des Sozialismus „diskreditiert zu haben“.

Kerzengerade und etwas steif steht Christoph Bergner im Studio an seinem Pult, die Hände gefaltet wie zum Gebet. Er sucht Höppners Blick. Doch der stützt lässig einen Ellenbogen auf sein Stehpult und schaut in Richtung der beiden Moderatoren. Dem Kontrahenten zeigt Höppner meistens seine rechte Schulter.

Seit der Wahlnacht vor vier Jahren ist das Verhältnis zwischen den beiden zerrüttet. Die CDU war mit hauchdünnen 0,4 Prozent stärkste Partei geworden, Bergner rechnete fest mit einer Großen Koalition – unter seiner Führung natürlich. Höppner aber entwarf das „Magdeburger Modell“: Er installierte eine rot-grüne Koalition, ließ sich zum Ministerpräsidenten wählen und seine Minderheitsregierung von der PDS tolerieren. Bergner warf Höppner vor, er habe mit der „Besessenheit eines Triebtäters“ nach der Macht gegriffen. Höppner schoß nicht minder polemisch zurück. Nur mit persönlicher Kränkung läßt sich die Verbissenheit erklären, mit der Bergner fortan kämpfte. Die CDU-Landtagsfraktion übte fortan Totalopposition. Alle Versuche, das „Magdeburger Modell“ zu kippen, scheiterten kläglich. Bergner hofft noch immer auf eine Große Koalition, doch daß er selbst im Kabinett ist, wenn sie denn zustande kommt, ist sehr unwahrscheinlich.

Sozialdemokrat Höppner lehnt ein Zusammengehen mit der CDU klar ab. Sein Wahlziel sei eine Mehrheit für das rot-grünes Regierungsbündnis, betont er im MDR noch einmal, nicht eine absolute Mehrheit für die SPD. Doch scheitern Grüne und FDP an der Fünf- Prozent-Hürde, reichen schon rund 45 Prozent für eine Alleinregierung – und die sind den letzten Umfragen zufolge durchaus drin. Für den Fall, daß die DVU den Einzug in den Landtag schafft, ließ sich Höppner ein Hintertürchen offen: „Dann müssen alle neu nachdenken.“

Vor den Fernsehkameras gehen beide behutsam miteinander um, zügeln ihre Aversionen. Ohnehin sind Höppner und Bergner eher nachdenkliche Typen. Dem 49jährigen Höppner, Mitbegründer der Ost-SPD, Vizepräsident der letzten DDR-Volkskammer und langjähriger Präses der Synode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, schien es anfangs immer etwas peinlich zu sein, als Regierungschef aufzutreten. Seinen gebeugten Gang hat er sich bis heute nicht abgewöhnt, so wirkt er schüchtern, unscheinbar. Doch hat er in den vier Jahren an der Macht Selbstbewußtsein entwickelt. Vehement verteidigt er sein „Magdeburger Modell“, von dem 1994 kaum jemand glaubte, daß es vier Jahre überlebt.

Nach einer Stunde ist die Fernsehdiskussion zu Ende. Kaum ist die Sendung abmoderiert, drängelt Reinhard Höppner aus dem Studio, verläßt im Eiltempo, als hätte er noch einen Termin, das Funkhaus. Bloß keine Minute zu lange bleiben.