■ Nachschlag
: Kurzatmig: Das „Theater Affekt“ verabschiedet sich mit „Indien“

Dank, wem Dank gebührt. Berlin war nicht die Heimat, doch immerhin der Standort des „Theaters Affekt“. Am Studententheater der Freien Universität begann in den frühen neunziger Jahren der Aufstieg der Frauen und Mannen um Stefan Bachmann, Ricarda Beilharz und Thomas Jonigk zur neben Andrzej Worons „Teatr Kreatur“ erfolgreichsten Off-Theatertruppe der neunziger Jahre. Nach Interludien am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, Castorfs Volksbühne und anderen ersten Plätzen wird sich der umherschweifende Theater-Haufe in der kommenden Saison am Basler Theater zu neuen Taten zusammenfinden.

Davor hat der liebe Herrgott und „Affekts“ sicheres Gespür für die angemessene Geste den Abschied von Berlin gesetzt. Der findet vor den Toren der Stadt im Gasthof Naase in Gröben statt und obliegt Lars-Ole Walburg, zur Zeit noch Dramaturg am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Für sein dortiges Regiedebüt hatte Walburg im vergangenen Herbst den Dialog „Indien“ der beiden österreichischen Kabarettisten Josef Hader und Alfred Dorfner gewählt. Ein Gustostückerl aus dem Land der Abschiedsweltmeister, bitterböse und sentimentselig, ist „Indien“ wie geschaffen für ein leises Servus an das Berliner Standort-Publikum.

Für Hamburg transformierte Lars-Ole Walburg die Liebesgeschichte zwischen Schnitzeltester Heinz Bösel und Toilettenprüfer Kurt Fellner aus dem Niederösterreichischen ins Hochdeutsche. Zwischen den schaumstoffgepolsterten Stühlen des Gastraums und den Plastevorhängen des Saales im Gasthof Naase kommt das annoncierte „ostdeutsche Roadmovie“ nun endlich zu Hause an.

Heinz Bösel und Kurt Fellner testen Landgasthäuser im Auftrag der brandenburgischen Landesregierung. Türen knallen, Aktentaschen krachen auf den Tresen. Der Westen entledigt sich seiner Prüfaufgabe im Osten mit Gepäckwaage fürs Schnitzel und Gummihandschuh fürs Klo. Mißmutig, einsilbig Michael Weber als Bösel, ein lederkordegeschmückter Neo-Westerner mit simpler Gemütsstruktur; aufgedreht-redselig Jörg Schröder als Fellner, ziselierte Fönfrisur zum Schnurrbart, mit Goldkettchen und Streifenhemd ein oberflächlich gelackter Hang zum Höheren. Ein ungleiches Paar, herzlich einander abgeneigt. Die Abgründe, denen sie begegnen, verwaltet Max Hopp als drei Wirte, dämmernd am Tresen unterm Kanzlerbild. Aus Männerfeindschaft wächst Freundschaft in der gemeinsamen Lust am Quälen. Im Suff examiniert das Tandem die Zehennägel des Wirtes auf korrekten Beschnitt. Der Osten wehrt sich redlich-tückisch. Mit Fellners Lederjacke werden die Spuren der Demütigung beseitigt.

Das alles ist animiert gespielt, fein beobachtet die Vorherrschaft Düsseldorfer Sendlinge im SPD-Land Brandenburg, die im rheinisch-westfälischen Dialekteinschlag Bösels wiederkehrt. Und ist doch nur Jonglage mit dem berlinisch-hamburgischen Vorurteil über Ostland. Wenn Bösel den neunmalklugen Fellner mit: „Verpiß Dich, Du Scheißhaus!“ anraunzt und Max Hopps Wirt dazu unwillkürlich Haltung annimmt, begrüßt das Berliner Publikum dies mit wissendem Kichern. Doch wie kurzatmig nimmt sich das aus in der Gröbener Idylle von Wirtin Johanna Naase, wo die Hamburger Spielleute friedlich fremdblickend unter der zart ergrünenden Linde vor dem Haus ihre Zuschauer an Holztischen erwarten. Der Osten ist anders. Einzig der fünfarmige Leuchter über der Spielfläche (originale Naasesche Ausstattung oder Bühnenbilddetail?), ein brauneiserner, blätterseliger Abkömmling deutscher Brückenschmiedekunst, verrät etwas vom elenden Pathos der wirklichen mentalen Nachblüte des einstmals existierenden Staates.

Vielleicht liegt es am Genius loci, daß auch der endgültige Umschlag von Kumpanei in Männerliebe, der sich begleitet von intimen Geständnissen durch die Klotür hindurch ereignet, daneben gerät. Unter Jörg Schröders lustvoll ausgespielter Entleerung zwischen klappernde Besteckkästen und klirrende Schnapsflaschen verfehlen die Staatsschauspieler im Brandenburgischen den ins Tragikomische überspringenden Wendepunkt. Dem Austausch letzter Wahrheiten schließlich an Fellners Sterbebett im maroden, von Abrißlärm widerhallendem Krankenzimmer fehlt, trotz des schönen Einfalls, Bösel unter die Bettdecke zu dem Siechen schlüpfen zu lassen, der weite Atem sterbensfroher-tieftrauriger Wehmut.

Es scheint, als sei Lars-Ole Walburg in Hamburg, ähnlich wie Stefan Bachmann, der Erfolg in letzter Zeit leichtgefallen und leicht gemacht worden. So nimmt man leichten Herzens Abschied vom „Theater Affekt“ und seinen wohlfeilen Hervorbringungen. Bleibt zu hoffen, daß die mit unbestrittener inszenatorischer Phantasie begabten Jungregisseure ihre geistige und dramaturgische Genauigkeit im Zuge eines neuen Anfangs in der Schweiz erneuern. Nikolaus Merck

Weitere Vorführungen: 2. und 3. Mai, jeweils 20 Uhr, Gasthof Naase. Bus-Shuttle-Service an allen Spieltagen, Treffpunkt: Schillertheater, Abfahrt 19 Uhr, Reservierung unbedingt erforderlich, Tel.: 030/792 43 26