Tiefschläfer laden zum Torschuß

Nach einem 2:3 gegen 1860 München findet sich der 1. FC Köln auf einem Abstiegsplatz wieder, glaubt aber trotzdem „gestärkt“ aus der Niederlage hervorzugehen  ■ Aus Köln Max Annas

Am Anfang des Matches gegen 1860 München stand für die Spieler des 1. FC Köln eine wichtige Erkenntnis. Es ist gut, den Ball nach einer Ecke des Gegners wegzuschlagen. Denn er könnte sofort wiederkommen. So geschehen in der 13. Minute, als der Münchner Spielmacher Abderrahim Ouakili das Spielgerät wieder in den Strafraum bugsierte. Lernende in der Situation waren die beiden Kölner Linksfüße Münch und Schuster, die wie unbeteiligt zusahen, als Harald Cerny wenige Meter vor dem Tor dem Ball die entscheidende Richtungsänderung gab. Das war der worst case für das Team mit der schwächsten Abwehr der Liga – erneut ein früher Rückstand.

Große Teile des Kölner Publikums reagierten mit Häme auf die indiskutable Leistung ihrer Mannschaft in der ersten Hälfte jenes Spiels, das 60er-Trainer Werner Lorant nachher „verrückt“ nannte und das den FC wieder auf einen Abstiegsplatz bringen sollte. Lautstarker Hohn schlug vor allem dem jungen Thomas Cichon entgegen, der sich drei Versuche nahm, um einen Rückpaß zu stoppen und dann endgültig daran zu scheitern. Als die Auswechslung Pablo Thiams bekanntgegeben wurde, applaudierten Tausende.

Das Spiel mit den zwei völlig unterschiedlichen Hälften belegte auf zwei völlig unterschiedliche Arten, warum die Kölner im Abstiegskampf ziemlich schlechte Karten haben. In den ersten 45 Minunten war außer rudimentärem Wollen bei Polster und Munteanu nicht zu spüren, daß der FC recht dringend noch Punkte zum Überleben braucht. Vor allem Torwart Andreas Menger und Manndecker Bodo Schmidt stellten sich dabei äußerst dämlich an. Menger war am 0:2 durch Winkler und am 0:3 durch Heldt beteiligt. Einen „Tiefschlaf“ nannte FC-Trainer Lorenz- Günter Köstner die Vorstellung seines Teams. Die 60er brauchten nur den Ball nach vorn zu bringen und abzuwarten, wie deutlich die Einladung zum Torschuß formuliert werden würde. Drei Einladungen brachten drei Tore.

Von der 46. Minute an wurde das Dilemma noch größer – und das, obwohl fortan der FC aufs 60er-Tor drängte. Das Dilemma hat viel mit Toni Polster zu tun, der am Samstag der bei weitem beste Kicker seines Clubs war. Nach der Einwechslung von Holger Geißmayer (für Thiam) war Polster der Kölner Spieler, der zusätzlich zum von Köstner offensichtlich befohlenen Kampf auch Kreativität und Cleverness zu bieten hatte. Er holte die Ecke raus, die das 1:3 durch Schuster produzierte; er verteilte die Bälle wie Andreas Möller in Glanzform – unter anderem in den Strafraum auf Geißmayer, der dort von Greilich umgerannt wurde; er verwandelte den auf das Foul folgenden Elfmeter; er versenkte fast einen Kopfball in der 83. Minute. Aber das Dilemma des 1.FC Köln, das sich in dieser zweiten Hälfte offenbarte, ist: Polster kann nur an einem Ort auf dem Platz stehen. Ohne die Mitarbeit fähiger Kicker wie Münch oder Tretschok, die sich äußerst bedeckt hielten, kann der 1. FC Köln nicht als Erstligaklub überleben.

Denn nur theoretisch stehen die Kölner nun besser da als der erste Mitbewerber um den 16. Platz, der Karlsruher SC, der zuschaut, wenn Köln im Nachholspiel in Schalke spielt. Das ist vielleicht nicht die schlechteste Perspektive, denn die Schalker kämpfen noch um einen Uefa-Cup-Platz. Und die Probleme, die das Kölner Team in der gesehenen Form den Schalkern bereiten könnte, wollen nicht unlösbar scheinen. Wenn aber in Schalke nicht wenigstens ein Punkt für den FC abfällt, ist der Klassenerhalt aus – wie es so schön heißt – eigener Kraft nicht mehr drin.

Während Präsident Albert Caspers nach dem Spiel wortkarg wenigstens den Ernst der Lage eingestand („Es wird jetzt ganz hart!“), meldete sich Manager Carl-Heinz Rühl mit wenig bundesligatauglichen Äußerungen und führte erneut die schlechte Leistung der ersten Hälfte auf die allgemein zu spürende Angst vor dem Abstieg zurück. Köstner allerdings betonte demonstrativ, seine Mannschaft gehe „trotz der Niederlage gestärkt aus dem Spiel“. Er bezog sich damit auf die Leistung der zweiten Halbzeit, unterschlug dabei jedoch, daß es diese Reaktion ohne die kollektiven Absenzen der ersten wohl nie gegeben hätte.

TSV 1860 München: Hofmann – Zelic – Greilich, Kientz – Cerny, Jeremies, Stevic, Quakili (59. Pele), Heldt – Hobsch (58. Walker), Winkler (81. Gorges)

Zuschauer: 32.000, Tore: 0:1 Cerny (13.), 0:2 Winkler (32.), 0:3 Heldt (34.), 1:3 Schuster (51.), 2:3 Polster (56./Foulelfmeter)

1. FC Köln: Menger – Baumann – Schmidt, Schuster – Thiam (46. Gaißmayer), Tretschok, Cichon (75. Rösele), Munteanu, Münch – Azizi, Polster