: Mit Artischockentechnik und Antifa
Am 1. Mai wird in Leipzig demonstriert. Die einen finden die Rechten „gefählisch“, die anderen wollen ihr Klo „nur für Deutsche“: Wie sich fünf Arbeitslose, ein Gewerkschafter und sechs Kubaner auf den Marsch der NPD vorbereiten ■ Von Andrea Böhm
Man muß die Spannungen abbauen. Die Knüll- Tropf-Technik ist dafür kein Allheilmittel, aber ein Anfang. Man nimmt einen Seidenschal, knüllt ihn zu einer kleinen Wellenlandschaft zusammen und läßt das Rot oder Blau aus dicken Pinseln darauf verlaufen. Am Ende verschwimmen alle Konturen, alle Grenzen zwischen kontrolliertem Pinselstrich und dem unkontrollierbaren Fluß der Farben auf dem Gewebe. Das paßt zu ihrem Leben. Zu Karla, bis 1991 Lektorin im Leipziger Zentralhaus für Kulturarbeit. Zu Erika, der ehemaligen Konditorin, „schreib'n Se' bloß nich Bägger“. Zu Gisela, der Ingenieurin, nach der Wende umgeschult auf EDV, dann weitergebildet zum „Manager für Finanzen“ und „Fachmann für Rechnungswesen mit Software-Anwendung“. Und zu Eva, der ehemaligen Verkäuferin aus dem ehemaligen Leipziger „Kaufhaus Topas“, dem „schönsten überhaupt“, wo jetzt die Commerzbank eingezogen ist und Teile der Fassade vergoldet hat.
Sie alle waren zum Zeitpunkt der Wende Ende Vierzig bis Mitte Fünfzig, sind seit 1991 arbeitslos und längst über die Knüll-Tropf- Technik hinaus. Gisela, Karla und Eva haben gelernt, die Farben für Landschafts- und Blumenbilder zu zähmen. Erikas Seidenkrawatten finden Bewunderung im Leipziger Erwerbslosenzentrum (LEZ), wo sie alle vierzehn Tage „Spannung abbaut“. Wechselweise Seidenmalerei, Aquarelle oder „Blumen in Artischockentechnik“.
Auf der anderen Seite des Flurs schleichen Rat- und Wehrlose in die Schuldnerberatung, nebenan sitzen Jüngere im Computerraum und formulieren ihre 70. Bewerbung. Dazwischen organisiert, telefoniert und koordiniert LEZ- Leiterin Christa Müller, eine Frau mit mütterlichem Ausmaß und Auftreten, neue ABM-Stellen, zusätzliche Sachmittel und Aktionen zum 1. Mai, dem Tag der Arbeit, die in Leipzig verdammt knapp geworden ist.
Wie letztes Jahr wollen „die Braunen“ wieder zum Völkerschlachtdenkmal marschieren, „Arbeitsplätze zuerst für Deutsche“ und den Schutz des Volkes vor „Überfremdung“ fordern. „Da wird's gefählisch“, sagen die Arbeitslosen vom LEZ, bevor sie feststellen, daß Männer mit den Spannungen der Arbeitslosigkeit viel schlechter fertig werden als die Frauen. „Keene Arbeit, keene Lehrstellen“, sagt Christa Müller, „natürlich ist das een guder Boden für de Rächten.“
Man kann der sächsischen Mundart einiges abgewinnen, wenn man erst mal merkt, daß sie sich für martialische Propaganda jedweder Art wenig eignet. Ob früher der Sozialismus oder jetzt am 1. Mai der „nationale Widerstand“ der NPD – im Sächsischen siegen sie nicht, sondern „siechen“. Der Dialekt – früher an Grenzübergängen von Transitreisenden gefürchtet – verleiht auch denen, die eifrig gegen den jährlich angekündigten Aufmarsch der NPD mobilisieren, eine gewisse Gemütsruhe. Bernd Günther zum Beispiel, der ebenfalls damit beschäftigt ist, Spannungen abzubauen.
Das ist nicht so leicht in einer Stadt, die wie keine andere als Symbol für Aufbruch- und Aufbaustimmung nach der Wende galt; wo das Jammern über verlorene Sicherheiten verpönt war; wo zu besten Zeiten, als man Investitionen im Osten noch steuerlich abschreiben konnte, die Bauunternehmer Arbeitskräfte mit übertariflichen Löhnen lockten, als mittelständische Baufirmen in Sachsen wie Pilze aus dem Boden schossen. 28.000 Ausländer waren damals in der Stadt beschäftigt, und „hier hat man keine rechten Töne gehört“, sagt der Leipziger IG-Bau-Chef Bernd Günther, dessen schwarzer Schnauzbart in jedem türkischen Kaffeehaus Achtung finden würde.
Vor etwa drei Jahren kam der Einbruch. Inzwischen verzeichnet Leipzig einen Leerstand von 55 Prozent bei Gewerbeflächen und eine Arbeitslosenrate von 28 Prozent im Bausektor, was zehn Prozent über der Gesamtquote der Stadt liegt. Wer Arbeit hat, wartet nicht selten seit zwei, drei oder sechs Monaten auf den Lohn. Günther staunt, was sich die Leute alles gefallen lassen, „nur um sagen zu können, daß sie noch zur Firma gehören“. Dabei rattert und brummt der Baulärm ununterbrochen weiter – zum Beispiel an der Altenburger Straße, wo der „Mitteldeutsche Rundfunk“ (MDR) eine neue Sendezentrale errichten läßt. Bei der letzten Razzia des Arbeitsamts fand man sieben Jugoslawen, die ohne Papiere beschäftigt wurden, sowie 120 Portugiesen mit ordnungsgemäßer Arbeitserlaubnis, denen statt des gesetzlichen Mindestlohns von 15,14 Mark pro Stunde drei Mark ausgezahlt wurden. Die Pressestelle des MDR zeigte ihr Bedauern und verwies auf das Generalunternehmen, das wiederum zahlreiche Subunternehmen beschäftigt. Bernd Günther, der Leipziger IG-Bau-Chef, verweist auf Schilder an Baustellenklos, auf denen „Nur für Deutsche“ steht; auf Briefe aus der Mitgliedschaft, in denen gefordert wird: „Schmeißt die Ausländer endlich raus, damit wieder Arbeitsplätze frei werden.“ Oft sind es die Ehefrauen, die sich so zu Wort melden.
Knallharte Debatten muß er sich mit seiner Basis liefern. Manchmal sind persönliche Interventionen nötig, wenn die Kollegen vom Konkurs ihrer Firma erfahren, während nebenan auf portugiesisch die Anweisung zum Betonschütten ertönt. Daß sich dann noch der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der regelmäßig illegale Beschäftigung auf ostdeutschen Baustellen anprangert, derselben Zustände schuldig macht, findet Günther wenig hilfreich.
Ein Baumaschinenführer formuliert es etwas deutlicher: „Da laufen 10.000 arbeitslose Bauarbeiter durch die Gegend und hören, wie auf den Baustellen ausländisch gequatscht wird. Was glauben Se“, fragt er, „was die sich denken?“ Und gibt die Antwort gleich selbst: Das, was auf den NPD- Flugblättern in den Leipziger Hausbriefkästen steht: „Arbeit zuerst für Deutsche.“
In kaum einer anderen Branche verfängt der Hinweis auf die Abstammung so schnell, läßt sich die Schuld an dem, was Deregulierung des Arbeitsmarktes heißt, so einfach den vermeintlich Fremden zuschieben. Dabei kommt die Billigkonkurrenz inzwischen auch aus Annaberg oder Zwickau, wo die deutschen Firmen ihren deutschen Arbeitern Stundenlöhne von neun Mark bezahlen. Für solche flexiblen Arbeitnehmer hat das amerikanische Nachrichtenmagazin Time dem Bundesland Sachsen kürzlich ein Lob ausgesprochen und mit Hinweis auf Infrakstruktur und freundliches Investitionsklima zarte Vergleiche zum Silicon Valley gezogen.
„Silicon Sachsen“ ist nicht gerade der Titel, der einem beim Spaziergang durch Leipzig-Stötteritz einfällt. Durch dieses alte Arbeiterviertel will die NPD strammdeutsch und „diszipliniert“ Richtung Völkerschlachtdenkmal marschieren. Das Ordnungsamt der Stadt hat die Demonstration verboten, die NPD hat wie schon letztes Jahr Widerspruch vor dem Verwaltungsgericht eingelegt. Einige Tage vor dem 1. Mai, sitzen auf dem Weißeplatz ein paar Jugendliche, die Bier trinken und Comics lesen. Und ein paar Rentner, die Bier trinken und im Kanon rülpsen. Ein kleiner Glatzkopf, kaum zwölf Jahre alt, starrt versunken in eine Colaflasche. Auf seiner Jacke prangt das Emblem des VfB Leipzig, eingenäht in die schwarz-rot- goldenen Umrisse von Deutschland in den Grenzen von 1939. Das Dritte Reich ist tot und dem Fußballclub geht's auch schon schlecht. Gestern hat der DFB angedroht, wegen Finanzmangels die Lizenz für die Bundesliga nicht zu erneuern. „Natürlich ist er ein Nazi“, sagt voller Mitleid der Iraker aus dem Eckladen, der ihm gerade Fußballsammelbildchen verkauft hat. „Aber ein netter.“
Hier in Stötteritz reihen sich Baustellen an renovierte und verfallene Häuser, rauscht der Schutt in die Container, mischen sich spanische und deutsche Kommandos der Poliere. Hier läuft Peter Wasem seine Runden, prüft den Zwischenstand des lautlosen Kampfes um Stromkästen, Litfaßsäulen und Verkehrsschilder, an denen NPD-Anhänger Demo-Plakate kleben, NPD-Gegner sie wieder abreißen.
Wasem ist 24 Jahre alt und Vize- Chef der PDS in Leipzig. Mit einer Körpergröße von 1,95 Meter bewegt er sich auch in rechten Hochburgen wie dem Plattenbauviertel Grünau angstfrei, obwohl Rechtsradikale hier gestern erst den Infostand der PDS zerlegt haben. Die Militanz der NPD-Angänger beschäftigt ihn ebenso wie die erklärte Absicht ihrer Partei, im selben Wählerpotential zu fischen wie die PDS: bei den Jungen. Die bleiben immer öfter zu Hause. Beim ersten Durchgang der Leipziger Bürgermeisterwahl etwa gaben gerade mal 37 Prozent der unter 30jährigen ihre Stimme ab. Wer übrigbleibt und mit dem Vorsatz der Protestwahl in die Kabine geht, der, sagt Wasem, „schwankt zwischen NPD und uns“.
Wasem ist eine ehrliche Haut und verhehlt auch gegenüber der Presse nicht die Bauchschmerzen, die ihm „Ostmief“ und „völkischer Geist“ der DDR in den eigenen Reihen bereiten. Täve Schur zum Beispiel, das realsozialistische Sportidol und Zugpferd für den PDS-Bundestagswahlkampf, der unlängst auf die braune Soße aus dem Westen schimpfte und im selben Atemzug bedauerte, daß man die Arbeitslosigkeit nun nicht mehr mit dem Bau von Autobahnen bekämpfen könne. Schwamm drüber, am 1. Mai wird Täve, der radelnde Volksheld, die Friedensfahrt durch Leipzig anführen.
Auch die sechs spanischen Bauarbeiter, die sich auf Nachfrage als „echte Kubaner und Castro-Anhänger“ erweisen und seit über zehn Jahren in Leipzig leben, können sich den Hinweis nicht verkneifen, früher hätte man alles besser im Griff gehabt. Die rechte deutsche Jugend interessiert sie nur, wenn sie sich auf die Baustelle wagt. „Aber“, sagt einer, „die wissen, was ihnen dann passiert.“
Dann gibt der Polier das Zeichen zum Feierabend, einer der Kubaner schmettert in vollendeter Nachahmung von Marius Müller- Westernhagen „Freiheit“ über den Platz. Am 1. Mai gehen sie nicht demonstrieren, sondern einen heben.
Die Seidenmalerinnen vom Leipziger Erwebslosenzenztrum immerhin, die werden auf der Straße sein – gegen Rechts, für Arbeit. Irgendwann, sagt Karla, „muß de geballte Kraft doch mal uff de Straße kommen“. Oder ein bißchen mehr Spannung in die Reihen der Arbeitslosen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen