GenossInnen kämpfen jugendfrei

Hamburgs Gewerkschaften vergreisen. Eine Trendwende ist nicht in Sicht – trotz Jugendclubraum, Mitbestimmung und eifriger Selbstkritik der Genossen  ■ Von Florian Marten

Unter dem Dach Hamburger Gewerkschaftszentrale prangt ein Schmuckstück der Jugendarbeit des Deutschen Gewerkschaftsbundes: der Jugendclubraum „Movimento“. Musikanlage, Selbstverwaltung und Videomöglichkeiten sind hier vom Feinsten.

„Für Fun ist jederzeit gesorgt“, strahlt Gewerkschafter Stefan Bölke, 22 und derzeit Zivi im Movimento. „Das ist möglich, weil es bis ins ganz Gemütliche geht“. Oder ins ganz Gewerkschaftspolitische, ergänzt Alexander Ebert, 24: „Im Movimento sind die Strukturen nicht festgefahren. Hier kann auch mal schnell etwas gemacht werden, ohne den Gang durch die Gewerkschaftsgremien anzutreten.“

Jene Gremien sind voll des Lobes über die derzeitige Nachwuchsarbeit. „Die Jugendlichen haben Möglichkeiten wie nie zuvor, sich an Entscheidungen zu beteiligen“, sagt Martin Sturm, Jugendsekretär des Landesbezirks Nordmark. Da gibt es eine „deutliche Aufstockung der Gelder aus den Landesbezirksmitteln für 1998/99“, da sind die „Einzelgewerkschaften für den Ausbau der Jugendarbeit“, und da wird „Jugend zum Schwerpunkt der nächsten beiden Jahre“. Die Hamburger Jugendfunktionärin Petra Heese, 36, lobt gar ausdrücklich ihren Chef: „Wir haben mit Erhard Pumm in Hamburg einen DGB-Vorsitzenden, der ganz viel zuläßt.“

Nur rund fünfzehn Prozent der Gewerkschaftler sind unter 25

Die Mitgliederstatistik spricht freilich eine andere Sprache: Den Gewerkschaften gehen die Jugendlichen aus. In nur sechs Jahren, von 1991 bis 1997, schmolz die Zahl der unter 25jährigen im DGB von 1,4 Millionen auf 573.000. Ihr Anteil an der Gesamtmitgliedschaft, einst zwischen 15 und 20 Prozent, sackte auf 6,4 Prozent ab.

Im Landesbezirk Nordmark sieht es noch düsterer aus: Hier bilden die 25.344 Mitglieder unter 26 gerade mal 5,3 Prozent der gewerkschaftlich Organisierten. Und in der Staats- und Dienstleistungsgewerkschaft ÖTV ist nur noch jedes sechzigste Mitglied in Ausbildung. „Die Gewerkschaften vergreisen“, resümmiert Hamburgs ÖTV-Boß Rolf Fritsch.

Die Gründe dafür sind vielfältig. „Eine Gewerkschaft ist nichts, was man mit dem Joystick bedienen kann. Man bekommt als Mitglied auch nichts umsonst oder billiger. Deshalb ist sie für viele Jugendliche einfach nicht vorhanden“, schätzt ÖTV-Mitglied Martin Lang, 21, Vertreter im Kreisjugendausschuß des Hamburger DGB. Und Landeschef Erhard Pumm klagt: „Die Leute werden nicht mehr von der Werkbank in die Gewerkschaft abgeholt.“Als der ÖTV-Bezirkvorsitzende Rolf Fritsch in die Lehre ging, war das noch anders: „Als ich mit 14 an der Werkbank anfing, drückte mir mein Meister als erstes drei Zettel zum Unterschreiben in die Hand: ÖTV-Mitgliedschaft, Juso-Mitgliedschaft und Barmer Ersatzkasse.“Doch die Zeiten haben sich geändert, weiß Manuela Napolski, Abteilungsleiterin Jugend im DGB-Bundesvorstand: „Der massive Abbau von Ausbildungsplätzen führt zu immer weniger Auszubildenden. Und die Jugendlichen werden immer weniger, weil jetzt die geburtenschwachen Jahrgänge kommen.“Außerdem sind Abi und Uni ein Problem, betont Erhard Pumm: „Der Eintritt ins Berufsleben erfolgt immer später.

Das aber ist „nur die eine Seite der Medaille“, sagt Jugendpolitikerin Napolski. „Die andere müssen wir verantworten.“Verstaubte Arbeitsformen, schlechte Betreuung und „der fehlende Wille der Gewerkschaften, zu zeigen, daß sie eine Jugend auch wollen“, seien Schuld am Nachwuchsmangel. Rolf Fritsch pointiert: „Wir haben den Kontakt zur Lebenswelt der Jugendlichen verloren. Der arrogante Funktionärsapparat läßt sich ungern hineinreden.“

Dabei haben sich die Rahmenbedingungen für die DGB-Jugend inzwischen verbessert, betont Napolski. „Wer mitarbeitet, darf mitbestimmen“, faßt sie den Kern der neuen, im April 1997 verabschiedeten Richtlinien zur DGB-Jugendorganisation zusammen. Darin setzt die DGB-Jugend auf Selbstbestimmung; offene Projektgruppen können direkt Vertreter in die Gewerkschaftsgremien entsenden.

Immer weniger Jugendliche wollen aus DGB- und SPD-Jugend in ein gewerkschaftlich-sozialdemokratisches Leben hereinwachsen. Das hat auch Erhard Pumm verstanden. Er sieht die Notwendigkeit „einer grundlegenden Reform unserer Gewerkschaftsar-beit. Wir müssen Fragen im Alltag, im Stadtteil und in der Region aufgreifen. Mit der klassischen Jugendarbeit im Betrieb wird es kaum noch gehen“. Auch in Sachen Jobs müßte sich der DGB mehr für Jugendliche einsetzen. Denn momentan „verteidigen die Älteren ihre Arbeitsplätze gegen die Jugend“.

Was Pumm nicht ausspricht: Im Augenblick geht der Trend bei den DGB-Gewerkschaften eher in Richtung Statussicherung statt in die Stärkung gemeinsamer Arbeit. Große Einzelgewerkschaften schlucken kleinere, die bescheidenen Aufgaben der Dachorganisation werden weiter beschnitten.

Mit diesen Handlungsweisen, bestätigt Rolf Fritsch resigniert, ist der Trend zum jugendfreien DGB jedenfalls nicht zu stoppen: „Ich bin da auch ratlos. Aber die Jugendquote bei der Hamburger ÖTV entwickelt sich auch nicht anders als der Bundestrend.“Nach unten.