Drehen am sozialen Brennpunkt

Für Krimiserien wie „Wolffs Revier“ bietet Prenzlauer Berg die marode Kulisse. Doch beim Drehen im fremden Revier stören manchmal die echten Anwohner  ■ Von Britta Steffenhagen

Die 85jährige Sofie Korthals stört es nicht im geringsten, daß in vier Stunden vor ihrem Haus eine Schießerei beginnt und ein Mann durch eine Fensterscheibe gestoßen wird. Ein anderer wird mit einem roten Jaguar in einen Bauwagen rasen und dabei sterben. „Ich guck' noch ein bißchen zu, und dann geh' ich ins Bett.“ Sofie Korthals wohnt in der Dunckerstraße 90. Dort wird in dieser Nacht „Wolffs Revier“ gedreht, Folge 97, Bangkok–Berlin.

Der Bauarbeiter von gegenüber sieht das anders, er will seinen Job nicht verlieren. Dafür muß er schlafen, und wenn es nicht anders geht, „dann schieß' ich eben die Scheinwerfer ein“.

„An einem sozialen Brennpunkt wie dem Prenzelberg ist es schwieriger zu drehen, das wird stressig heute“, glaubt Tom Gießler. Er ist Student wie die meisten anderen der „Blocker“, die die Straße am Drehort absperren, damit Kommissar Wolff in Ruhe den Zuhälter stellen kannn. Um 20.40 Uhr fällt die erste Klappe, der Kommissar sitzt mit seinem Assistenten in einem grauen BMW und beschattet einen Hauseingang. Dafür mußte das Umweltamt eine Sondergenehmigung erteilen, das Tiefbauamt hat zugestimmt, die Polizeidirektion ist verständigt.

Zu beiden Seiten der Straße lehnen die Prenzelberger an den Häuserwänden, viele mit Hund, die meisten mit Bierflasche, alle in das weiße Filmlicht der 600-Watt- Scheinwerfer getaucht. Wer zuguckt, gehört auch irgendwie dazu.

Um 22.30 Uhr ruft der Schauspieler Jürgen Heinrich „Halt, Kriminalpolizei!“ und schießt. Gleichzeitig kann sich ein Fahrradfahrer nicht entscheiden, ob er links oder rechts an den Absperrhütchen vorbeifährt. Er stürzt und bleibt liegen. Der Dreh muß kurz unterbrochen werden, ein Krankenwagen kommt.

Inzwischen ist das Schlafzimmer von Kathrin Simon und Marko Uhl im ersten Stock ausgeräumt. Dort kämpft jetzt der Schauspieler Gerd Warneling als Assistent von Kommissar Wolff mit einem Bösewicht. Im Gefecht werden sie die Fensterscheibe einschlagen. „Ich weiß gar nicht, ob der Glaser heute noch kommt“, sorgt sich Kathrin Simon. Sonst ist sie eher belustigt, schließlich erhält sie für die Klopperei in ihrem Zimmer als Honorar eine Monatsmiete.

Aus dem Walkie-talkie ruft es von unten: „Die Kopfnuß war noch nicht gut genug zu sehen!“ Der Beleuchter macht mit Hilfe einer schaukelnden Glühbirne „dramatische Lichteffekte“. Die Szene dauert ungefähr 20 Sekunden, dann ist die Scheibe kaputt und die Mittelfingersehne von Schauspieler Gerd Warneling durchtrennt. Echtes Blut tropft auf den Holzfußboden. „Alle Mann ruhig bleiben, der Krankenwagen ist gleich da!“ krächzt es aus dem Walkie- talkie.

„Wir machen jetzt erst mal Mittagspause“, beschließt die Aufnahmeleiterin Sylvie Stiepany. Es ist 23.20 Uhr, der rechte Lichtkran senkt sich wie ein untergehender Mond die Häuserwand hinab.

Eine gute Stunde später tritt Bernhard P. auf. Er ist stark alkoholisiert und will das Filmteam davon überzeugen, daß er bereits dreißig Jahre in Prenzlauer Berg lebt und hier nicht einfach so gefilmt werden kann. „Ick sach dir, faß mich nich an!“ brüllt er den Stuntkoordinator an. Der versucht es auf die Kumpeltour: „Komm, wir gehen ein Bier trinken.“ Aber jetzt gesellt sich Bernd D. dazu, der schon vorhin betrunken war. Es entbrennt ein lautstarker Streit darüber, wer länger in der Dunckerstraße wohnt.

Das Filmteam wird langsam nervös. Jürgen Heinrich versucht den älteren Mann zu beruhigen, indem er selbst „besoffen“ spielt. Aber auch seine gelungene Darstellung zeigt keine Wirkung. Der junge „Blocker“ versucht es ein letztes Mal: „Jetzt seien Sie doch bitte ruhig, die Leute hier wollen doch arbeiten.“ – „Arbeit? Ich bin arbeitslos.“ – „Na, wenn sie jetzt ruhig sind, dann kann ich ja mal fragen, ob hier ein kleiner Job für sie dabei wäre.“ Bernd D. umarmt den jugen Mann und weint. Das sei das Wunderbarste, was ihm seit langem passiert sei. Der junge „Blocker“ fühlt sich schlecht und schreibt die Telefonnummer auf.

Ines B. ist Lagerwirtschafterin, stark alkoholisiert und findet, daß Bernd D. recht hat. „Ich guck' sonst immer ,Wolffs Revier‘, aber diesmal lach ich mich tot. Was die hier machen, ist unfair. Die Leute hier im Bezirk müssen richtig kämpfen, wie kann mann hier so 'n stinknormalen Film drehen. Die Filmleute fühlen sich so wichtig, und dabei sind die doch in unserem Staat gar nicht so wichtig. Aber wer ist schon wichtig.“

Inzwischen dudelt leise Jazzmusik aus einem Kassettenrecorder, ein paar Jugendliche haben es sich auf dem Boden bequem gemacht. Um 4.50 Uhr fällt die letzte Klappe. Bernd D. ist schon längst nach Hause gegangen.