Laufband des Lebens

■ Stefan Pucher organisiert das Bühnengeschehen mit Mischpult und Mikro. Die Premiere seines Stücks "Bodycheck" kommandierte der Shooting-Star am Frankfurter Theater am Turm

Er ist nicht irgendein Regisseur. Er ist der Shooting-Star der Szene, und seine Jünger kommen direkt von da, junge Schauspieler mit unverbrauchten Namen und Typen von sonstwoher, die das Leben einem wie Stefan Pucher in die Hände spielt. Er fügt sie zusammen in einen Prozeß, in dem das Theater nur ein Teil vom Ganzen ist. Wo das „normale“ Leben endet und das „Stück“ beginnt, ist bei Pucher eine Frage der Abmachung. Mit Überschneidungen dieser Art versteht er es wie kein anderer, das Lebensgefühl einer ganzen Generation ins Rampenlicht zu rücken. „You can be anyone this time around“, heißt Puchers Satz dazu, jeder kann morgen seinen Platz einnehmen.

Die Zerrissenheit zwischen dem Wunsch nach Anerkennung und der Suche nach sich selbst steht im Zentrum von „Bodycheck“, Stefan Puchers neuem abendfüllenden Stück, das jetzt mit fünftägiger Verspätung am Frankfurter TAT Premiere hatte. Die Bühne ist ein Catwalk, auf dem sich ein Laufband endlos dreht. Hier posieren Puchers Personen, erzählen (fiktive) Geschichten aus ihrem Leben oder treffen zum gemeinsamen Auftritt zusammen.

Aufgaben als Streicheleinheiten

Dazu laufen Videos auf vier großen Monitoren jeweils links und rechts vom Laufsteg, unterlegt mit Soundtracks. Von der Tribüne am Kopf des Saals organisiert Pucher das Geschehen per Mikro und Mischpult. Er begleitet seine Akteure auf den Catwalk, interviewt sie oder fordert sie auf, ihre Geschichte zu erzählen. Seine Aufgaben an sie verteilt er wie Streicheleinheiten, sanft, aber doch bestimmt. Es ist keine Frage, wer hier inszeniert.

Auf der Bühne scheinen seine Schauspieler immer nur sie selbst zu sein. Torsten bleibt Torsten, der Bodyguard mit dem gnadenlos gestählten Körper. Er hat seinen Auftritt ebenso wie Natascha, Markus, Jan oder Charlie, der 83jährige, den Stefan beim Frankfurter Theater-Tunnel-Rave kennengelernt hat.

Wer heute abend zu den Schauspielern gehört, erkennt man zuerst an der Art, wie sie auf Pucher hören, nach ihm schauen, ihn umarmen oder sich mit einem Blick verständigen. Als member of the community müssen sie sich ebenso wie im Spiel auf der Bühne positionieren. Zwischen dem Bedürfnis nach Anerkennung und dessen Frustration steht der Körper, dessen Wert im Ringen um Positionen und Anerkennung steigt und fällt. Ohne dem Wunsch nach Selbstzerstörung auf den Grund zu gehen, läßt sich das Spiel im Spiel unbegrenzt weiterführen.

Die Abgründe der eigenen Phantasie

Doch interessiert das Thema Selbstzerstörung Pucher wirklich? Von der Struktur her ist „Bodycheck“ eher eine lockere Mischung aus Improvisation und Nummernrevue. Die verlockende Seite dieser Inszenierung ist ihre Transzendenz, das gleichzeitige Angebot von Auftritten, Szenen und Erzählungen, von Bildern und Musik, und die Möglichkeit, dies alles wie im Kurkonzert laufend von unterschiedlichen Orten aus wahrzunehmen und zu erleben

„Mitspielen“ macht immer dann Spaß, wenn es nur darum geht, sich in den von Pucher geschaffenen Stimmungsbildern in die eigenen Abgründe der Phantasie treiben zu lassen. Man kann dem kauzigen Charlie zuhören und sich gleichzeitig vom Meeresrauschen und dem Geschrei der Möwen einlullen lassen. Es ist schön, dem hübschen Jungen Diogenes zu lauschen, der vor unseren Augen ein leises, melancholisches Lied singt. Herb und schön auch der durchtrainierte Körper von Bodyguard Torsten. Sein Auftritt und seine Geschichte, wie er mit bloßen Händen einen Pitbull würgte, gehören in ihrer Einfachheit zu den Höhepunkten von „Bodycheck“.

Die Suche nach neuen Bildern und Szenen

Doch die Nähe und die besondere Verbindung von Schauspielern und Publikum, die uns Stefan und Charlie für diesen Abend versprochen haben, dauern – wenn überhaupt – immer nur kurz. Spannung läßt sich nicht halten, wenn die Szenen unvermittelt enden, Geschichten versanden, Bilder vorüberziehen und damit ein Thema vorbei ist. Als Pucher schließlich wieder gemeinsam mit Charlie das Ende seines Stücks moderiert, fällt das kaum auf.

Der Beifall kommt spärlich und an unterschiedlichen Stellen. Die Darstellerin Natascha blickt enttäuscht von der Tribüne auf den leeren Catwalk. Das war's also? Nein, die Bilder laufen noch, genauso wie das Leben weiterlaufen wird und Puchers Suche nach neuen Bildern und neuen Formen. „Bodycheck“ ist ein netter, wirklich unterhaltsamer Abend geworden – und das ist nicht ironisch gemeint. Wenn Pucher auf dem Marktplatz der Positionierungen und Eitelkeiten bestehen will, ist das allerdings zuwenig. Antje Paetzold