Mit Fürbitten und Steinen gegen die NPD

■ Gegen den Aufmarsch der NPD protestierten Tausende in der Leipziger Innenstadt: Die eher Stillen trafen sich in der Kirche, anderere lieferten sich mit der Polizei eine Straßenschlacht

Zehn Stunden, bevor die NPD aufmarschiert, ist der Platz vor dem Völkerschlachtdenkmal fest in jamaikanischer Hand. Als letzte Band des Rockkonzerts gegen rechts am Vorabend des 1. Mai spielt die Leipziger Reggae- Truppe Messer Banzani. Die knapp 10.000 Fans sind in Hochstimmung. Unter dem Motto „Leipzig zeigt Courage“ hatte der DGB gemeinsam mit einem breiten Bündnis von Künstlern und Politikern zu Gegenveranstaltungen gegen die Demonstration der Rechtsextremisten aufgerufen.

Das Publikum ist bunt gemischt – Hausbesetzer, Studenten, ein paar Familien mit kleinen Kindern. Das Bier fließt in Strömen, mitgebrachte Flaschen Wein werden geleert. Auf der Bühne toben sich die Kölsch-Rocker von BAP aus, Mitglieder der Prinzen und die DDR-Gruppe Amor und die Kids treten auf. Nur ein kleiner Block direkt vor der Bühne skandiert zwischen den einzelnen Auftritten „Nazis raus!“. Eine Punk-Band grölt das Lied von den „Zehn kleinen Nazischweinen“.

Am nächsten Morgen treffen sich alle wieder in Connewitz und ziehen in einer Demonstration in die Innenstadt. Die eher stillen Nazigegner versammeln sich derweil in der Thomaskirche zum Friedensgebet. Pfarrer Christian Wolff predigt gegen den Kapitalismus, der Arbeitslosigkeit als notwendigen Teil des Systems hinnehme. Seinen heiligen Zorn läßt er auch auf das Oberverwaltungsgericht, das den NPD-Aufmarsch genehmigte, niedersausen; auf die Richter, die „hochverdienende, wahrscheinlich Westbeamte“ seien und „die der Polizei zumuten, eine rechtsradikale Demonstration zu beschützen“. Applaus brandet auf. Dann hält die Gemeinde ihre Fürbitte „für gesellschaftliche Vielfalt“.

Die autonome Antifa ist derweil aus der Innenstadt weitergezogen. Etwa 500 sammeln sich auf der Prager Straße, der Verbindung zwischen City und Völkerschlachtdenkmal. Die Polizei ist jetzt massiv im Einsatz. Weiträumig hat sie den Aufmarschplatz der NPD abgeriegelt. Wasserwerfer sind aufgefahren, in langen Reihen stehen Beamte mit Helm und Schild.

Gegen elf Uhr, die NPD beginnt gerade ihre Veranstaltung, eskaliert die Situation. Die schwarzgekleideten Autonomen sammeln kleine Pflastersteine aus dem Gleisbett der Straßenbahn, bombardieren damit die Polizei. Flaschen fliegen, ein paarmal wird mit Leuchtmunition geschossen. Jemand brüllt: „Schmeißt die Faschos raus, ihr Idioten!“ Die Polizei stürmt los, die Autonomen rennen zurück. Ein paar Minuten geht es hin und her. Die Jugendlichen bauen eine Barrikade. Von einer Baustelle schleppen sie Holzpaletten und Gitterzäune herbei, Gerüstteile, eine alte Badewanne. „Ich kann die Wut gut verstehen“, kommentiert eine Passantin.

Auf der offiziellen Maikundgebung der Gewerkschaften vor dem Alten Rathaus in der Innenstadt halten Gewerkschaftsfunktionäre und SPD-Politiker ihre Reden. Der Platz ist knapp zur Hälfte gefüllt. Der DGB meldet 2.000 Teilnehmer, in Wirklichkeit dürften es eher 800 sein. Nach der Kundgebung lädt Gustaf Adolf Schur zu einer Friedensfahrt auf dem Innenstadtring. Das DDR-Radsportidol, seit letztem Wochenende Spitzenkandidat der sächsischen PDS für die Bundestagswahl, sitzt vorn auf seinem roten Tandem, hinter ihm sein Wahlkampfmanager. Vielleicht hundert Radler wollen mit „Täve“ Schur um die Wette strampeln. Eine Journalistin möchte vom 64jährigen das Motto der Aktion wissen. Täve sagt, er sei „zuvörderst für soziale Gerechtigkeit“. Dann fragt er seinen Manager, wofür man denn noch fahre. Der antwortet: „Für eine antirassistische Gesellschaft.“ Toralf Staud