Wer macht was warum?

■ Zuviel Vertrauen zum avancierten Material: Das diesjährige „Pro Musica Nova“-Festival stellte verschiedene Fusionen aus Musik und neuen Medien vor – mit allen Chancen und einigen unfreiwilligen Risiken

Exakt am Ende von Georg Bönns soeben im Lichthaus uraufgührtem „Clones“grollte der Donner: doch was wir als Kinder dachten, daß nämlich der liebe Gott böse sei, kanns nicht gewesen sein, denn der hätte in diesen vier Tagen noch ganz anders zuschlagen müssen. Die diesjährige „Pro Musica Nova“bot in vier Tagen elf Konzerte und Aktionen in vielen Orten der Stadt: im Neuen Museum Weserburg, in der Schauburg, im Sendesaal, im Schlachthof, in der Galerie Katrin Rabus und im Straßenbahndepot am Flughafendamm (wir berichteten). Konsequent hatte die künstlerische Leiterin Marita Emigholz ihren Nova-Titel „audio-visuell-interaktiv“durchgezogen, alle Stücke hatten mit Elektronik zu tun oder bewegten sich zwischen Tanz und Musik oder zwischen Bild und Musik. Einige Stücke waren Kompositionsaufträge und wurden uraufgeführt.

Das Raumstück von Georg Bönn war nach der Installation von Jens P. Carstensen das zweite „Heimspiel“: Bönn ist Lehrbeauftragter für elektronische Musik an der hiesigen Hochschule. So zeigte sein einstündiges Stück, das sich am Begriff des Clonens formal orientiert, denn auch ein unglaublich sauberes Handwerk der Möglichkeiten zwischen instrumentalen Klängen und deren Verfremdungen. Zwei hohe Soprane, deren Orientierung an den Vokalparts Luigi Nonos nicht zu überhören waren, bildeten das Zentrum einer fantasievollen Klangreise für zwei Schlagzeuger, Kontrabaßklarinette und Live-Elektronik: Die Aufführung durch die weit auseinanderstehenden Petra Hofmann und Angelika Luz (Gesang), Christian Dierstein und Francois Rivelland (Schlagzeug) und Beate Zelinsky (Klarinette) wirkte hochkonzentriert. Das Stück machte Vorfreude auf das darauffolgende Abendkonzert, das dann aber gründlich enttäuschte.

„Vistas“nannte Mesias Maiguashca sein Programm. Es erhob zunächst einmal verbal einen politischen und philosophischen Anspruch, dem es naturgemäß gar nicht nachkommen konnte: Es geht da über Gott, über Feinde, über Ausländer... Alle Stücke waren zu lang, hatten keine Kraft, sich aus ihrem Material zu befreien, es zu gestalten. Die Uraufführung des Tonbandstückes „Tiefen“war nichts weniger als eine Zumutung in seinen allzubekannten elektronischen Klangmitteln. Einzig überzeugend in dem Maiguashca-Porträt „The Tonal“, ein Metallviereck, an dem Metallobjekte hängen, die akustisch und elektronisch zum Klingen gebracht werden; glänzend Christina Dierstein und Bassam Abdul-Salam.

Auch die Uraufführungen der drei Bläserstücke (Klarinette, Tuba und Posaune) fielen unterschiedlich aus: der Tubist Melvyn Poore erreichte mit „nesting time“eine interessante, auch komplexe Struktur, der Posaunist Nicola Collins fing mit „strange heaven“rasant an, in dem er aus dem Mundstück seiner Posaune einen Lautsprecher machte, endete aber mit seinen gefühlig gesprochenen Texten leider in reinem Kitsch. Daniel Rothman arbeitet mit einem selbst erfundenen Instrument. Er nennt es Teleklarinette, warum weiß keiner. Hören tut man ein Tele jedenfalls nicht. Dafür gab es auch hier wieder tiefe Philosophie über die Zukunft des Menschen. Was wir von der Klarinette und der Live-Elektronik allerdings hörten, war nicht viel mehr als zweistimmige Intervalle, so in der Art mittelalterlicher Organa.

Daß sich Qualität nicht an den Möglichkeiten der elektronischen Klangerfindung festmacht, sondern nach wie vor entscheidend ist, was einer warum und wie macht, wurde überdeutlich in diesem ganzen Festival. Ferrucchio Busoni hatte 1906 prophezeit, daß die Zukunft der Musik an der mangelnden Entwicklung der Musikinstrumente scheitern werde. Doch seit über 50 Jahren muß der Komponist nicht mehr vom vorhandenen Klang ausgehen, sondern kann ihn selbst erfinden. Die kompositorischen Probleme aber sind die gleichen geblieben. Busoni hat nicht Recht behalten! Die materiale Spielerei hat in einer Weise die Oberhand, daß man kaum noch wagt, nach dem Sinn immer tollerer Experimente zu fragen. Einen ganz unfreiwilligen Beweis des Gegenteils trat eigentlich eine „altmodische“Performance an: die des Klarinettisten Michael Riessler und des Schauspielers und Tänzers Nigel Charnock mit dem Titel „fever“. Unglaubliche Expressivität, aber gebrochen durch einen perfekten Schuß (Selbst)Ironie. Auf der Basis eines Liebestextes von Shakespeare, in dem einer sozusagen irre wird, tanzt Nigel Charnock diesen Text buchstäblich, versucht, seine Glieder loszuwerden, springt aber auch ständig wieder aus dem finsteren Gedicht heraus: Er läßt das Publikum an seinen Schuhen riechen, stellt Polaroidfotos vom Publikum her und vieles mehr. Dieser fieberhafte, virtuose Tanz: Immer wenn er erscheint, greift Michael Riessler, Michael Riessler zu Klarinette oder Saxophon. Sein hochvirtuoses Spiel ist keine Untermalung, sondern Frage und Antwort zum Getanzten – und umgekehrt.

Am Schluß kam's noch einmal geballt: „Opening of the Mouth“von Richard Barrett, eine Installation für zehn Instrumente, 2 Sängerinnen, Tonband, Elektronik und Videofilm auf Texte von Paul Celan beanspruchte wirklich alle Sinne: auch hier wieder eine verbale Überfrachtung, die man schon beim Lesen kaum aushält, geschweige denn es schafft, die musikalischen Parallelen zu erkennen. Barrett sagt, seine Musik sei ein Versuch einer Antwort auf Paul Celans zentrale Frage: „Wie antwortet die Kunst auf den Holocaust?“Dafür steht eine komplexe, stets hysterisch hochgetriebene, selten zur Ruhe kommende Struktur mit einer im einzelnen einfallsreichen Instrumentalbehandlung, die sich aber nicht als eine Dramaturgie vermittelt, in die der Hörer mitgenommen werden kann. Die beiden Sängerinnen Deborah Kaiser und Ute Wassermann vom hervorragenden Elision-Ensemble boten ein einzigartiges Kompendium stimmlicher Möglichkeiten.

Die Konzerte waren alle gut besucht. Aufgeschnappte Stimmen äußerten aber auch Unmut. Das Festival mit seinen durchweg blendenden InterpretInnen wäre eine perfekte Sache gewesen, wenn die Absicherung von Qualität besser gelingen könnte als dieses Jahr.

Ute Schalz-Laurenze