■ SPD-Sozialpolitiker kritisiert Walter Riester, Arbeitsminister in spe
: Die SPD und die Wagenburg

Der Mann ist alles andere als ein sozialpolitischer Rabauke: Walter Riester – Vizechef der IG Metall und ab Herbst womöglich Arbeitsminister in Bonn – gehört zu den Bedächtigen im Lande. In der größten Gewerkschaft der Welt, deren Führungskader nicht eben durch Neurertum aufgefallen ist, hat er eine klassische Gewerkschaftskarriere hinter sich. Nein, der Mann steht sicher nicht für den Sozialabbruch.

Aber er gehört zu denen, die es nicht schnurstracks der Wirklichkeit anlasten, wenn diese nicht mehr zur Theorie paßt. So hat sich Riester in den letzten Jahren den Ruf des realpolitischen IGM-Reformers erworben, der die tarifvertraglich vermessenen Schützengräben seiner Organisation verlassen hat.

Ob Rahmentarif, Flexibilisierung der Arbeitszeit, Teilzeitarbeit oder Betriebsvereinbarungen – Riester hat stets als offensiver Verteidigungsspieler argumentiert: Entwicklungen, die man nicht verhindern kann, muß man gestalten. Sonst bleibt man ihr Opfer.

Nachdem die folgsam gewordene SPD die inoffizielle Nominierung Riesters fürs nächste Bundeskabinett noch stumm zur Kenntnis nahm, bläst dem Mann aus Frankfurt nun Gegenwind ins Gesicht. Der SPD- Sozialpolitiker Hans Urbaniak holte die Paragraphen hervor und stellte fest, daß Riesters Vorschlag einer steuerfinanzierten Grundrente programmwidrig sei.

Mag ja sein. Urbaniak, der Riester des Systembruchs zeiht, will an der beitragsbezogenen Rente festhalten. Dabei hält er es, ganz im Stile aller strukturkonservativen Altbundesrepublikaner, nicht für nötig, auf Riesters Kernargument einzugehen. Es lautet: „Ein größerer Teil der Sozialsysteme muß aus der zu engen Koppelung an die Erwerbsarbeit heraus.“ Das ist wahrlich zurückhaltend formuliert. Und zugleich schlicht unabweisbar.

Die SPD – bisher fest dem Harakiri-Kurs des sozialpolitischen Wagenburgers Rudolf Dreßler verpflichtet – würde mit Riesters Kurskorrektur endlich den Boden der Tatsachen anpeilen. Und einer intelligenten, an der zerklüfteten Arbeitswelt der Zukunft orientierten Sozialpolitik einen Spaltbreit die Tür öffnen. Und vielleicht gar für Junge attraktiv werden, die ein Leben ohne Netz ebenso fürchten wie ein Leben am Geländer der alten Normalarbeitsbiographie.

Gerhard Schröder sonnt sich in seinem aggressiven Image. In Wahrheit aber badet auch dieser Herr gern lau. In fast allen Streitfragen seiner Partei steht er fest in beiden Lagern. Wenn er Riester (der im übrigen ein wahrer Etatist ist) im Regen stehen läßt, kommt das einem Bekenntnis zu einer reaktionären Sozialpolitik gleich. Thomas Schmid

Der Autor lebt als freier Publizist in Hamburg