Mit Großeinsätzen gegen die autonomen Gemeinden

■ Mexikos Polizei und Armee gehen in Chiapas gegen die zivile Basis der Zapatisten vor. Ob die Friedensverhandlungen zwischen Guerilla und Regierung je weitergehen, ist zweifelhaft

Mexikos Behörden haben am Sonntag 45 der 61 zivilen SympathisantInnen der zapatistischen EZLN-Guerilla wieder freigelassen, die am Freitag bei einer Razzia in einer autonomen Gemeinde festgenommen worden waren. Über 1.000 Soldaten und Polizisten hatten sich im Morgengrauen an der großangelegten Razzia im Dorf Amparo Agua Tinta beteiligt.

Bewohner und Reporter berichteten, die Sicherheitskräfte hätten die Einrichtungen des Gemeinderates zerstört, Vorräte beschlagnahmt und die BewohnerInnen mit Waffengewalt eingeschüchtert. Die mit „PRI“, dem Logo der Regierungspartei, markierten Hütten seien dagegen unangetastet geblieben. PRI-Anhänger, die sich bei der Armee ausdrücklich für ihren Einsatz „bedankten“, bestritten diese Aussagen.

Im Unterschied zum Dorf Taniperla, das drei Wochen zuvor von Soldaten schon wenige Stunden nach seiner Ausrufung als „autonome Gemeinde“ wieder geräumt worden war, galt „Land und Freiheit“ als einer der aktivsten autonomen Räte; Schätzungen zufolge hatten rund 100 Dörfer die Autonomen unterstützt.

Nach Angaben des Menschenrechtszentrums Fray Bartolomé de las Casas war dies der vierte Vorstoß in zapatistische Einflußgebiete seit dem Massaker von Acteal Ende Dezember letzten Jahres gewesen; dabei seien insgesamt über 80 mutmaßliche Zapatisten festgenommen worden.

Auch das renommierte Menschenrechtszentrum steht neuerdings in der Schußlinie. Vor wenigen Tagen kündigten Sprecher des Innenministeriums an, daß man höchstwahrscheinlich gegen das Zentrum eine Untersuchung wegen „Amtsanmaßung“ einleiten werde. Die Begründung: das Zentrum habe ausländische Beobachter eigenmächtig akkreditiert. Mitarbeiter wiesen diese Vorwürfe als „absurd“ zurück. Tatsächlich handelt es sich bei der vermeintlichen Akkreditierung lediglich um eine Art Empfehlungsschreiben, um die Kontaktaufnahme mit den Dorfgemeinschaften im Konfliktgebiet zu erleichtern.

Um eben diesen Kontakt werden sich in der folgenden Woche weitere 134 europäische Beobachter bemühen, die am Wochenende in Mexiko eingetroffen sind. Unter dem Slogan „Wir alle sind Indios auf dieser Welt“ wollen sich die Besucher, die allesamt aus Italien stammen und dort von diversen Parteien und Stadtregierungen unterstützt werden, ein Bild von der Menschenrechtssituation machen und den bedrängten Gemeinden ein paar Tonnen Medikamente, Bücher, Schulmaterialien und Spielzeug übergeben.

Vollkommen unklar scheint zur Stunde, ob die ausgesetzten Friedensverhandlungen mit der Guerilla jemals wieder aufgenommen werden. Aus dem offiziellen Lager werden immer mehr Stimmen laut, die den Vorsitzenden der Vermittlungskommission Conai, Bischof Samuel Ruiz, der „Parteilichkeit“ bezichtigen und seinen Rücktritt fordern. Aber auch die Existenzberechtigung der parteiübergreifenden Befriedungskommission Cocopa wird von Regierungsseite immer häufiger in Frage gestellt. Beide Kommissionen gelten als entscheidende Mittlerinstanzen, die ein Wiederaufleben der militärischen Konfrontation bis heute verhindern konnten. Zwar fordern Mitglieder der Cocopa und Conai nun auch die Zapatistenguerilla immer dringlicher auf, endlich ihr monatelanges Schweigen zu brechen. Sonderlich vertrauensbildend aber dürften die jüngsten Äußerungen von Präsident Zedillo zum Thema nicht gewirkt haben. Er verfüge über eine „unendliche Geduld, um zu einer friedlichen Lösung zu kommen“, versicherte Zedillo kürzlich gegenüber ausländischen Journalisten.

Nach den paramilitärischen Umtrieben befragt, antwortete das Staatsoberhaupt dann schon etwas ungehaltener: „die wichtigste paramilitärische Gruppe“ in Chiapas sei bekanntlich – die EZLN. Anne Huffschmid, Mexiko-Stadt