: Dritte Welt im Ruhrgebiet
Mit dem „newPark“ entsteht bei Gelsenkirchen die erste deutsche Sonderwirtschaftszone. Klingt verdammt nach Entwicklungsland – und so ist es auch ■ Aus Gelsenkirchen Markus Wissen
Sonderwirtschaftszonen kennt man bisher nur aus Mexiko oder China – wenn es nach dem nordrhein-westfälischen Wirtschaftsminister Wolfgang Clement und der Industrie- und Handelskammer (IHK) Gelsenkirchen geht, entsteht so eine Zone mit Dumping-Konditionen demnächst auch im nördlichen Ruhrgebiet. Unter dem Namen „newPark“ sollen in der Emscher-Lippe-Region 200 bis 300 Hektar Industrie- und Gewerbefläche zu ganz besonderen Vorzugsbedingungen vermarktet werden. Die erste Sonderwirtschaftszone Deutschlands.
Der Ausdruck „Sonderwirtschaftszone“ ist bei Wirtschaftsminister und IHK allerdings unbeliebt. Sie möchten Assoziationen mit den Entwicklungsländern vermeiden, wo Unternehmen des Nordens in den Sonderzonen die Arbeitskräfte des Südens zu Sonderbedingungen ausbeuten dürfen. Oder mit den britischen „enterprise zones“, mit denen die konservative Regierung Thatcher in den Achtzigern mobiles Kapital seßhaft machen wollte.
„NewPark“ dagegen klingt besser. Nach Aufbruch: Eine Region, die unter sozialen und ökologischen Altlasten leidet, bricht mit ihrer industriellen Vergangenheit und baut ihre Zukunft auf der grünen Wiese. Mit einem „Paket von einzigartigen Standortvorteilen“, so die IHK, werde die Region „zukunftsträchtig“.
Die „einzigartigen Standortvorteile“ unterscheiden sich indes kaum von den Bedingungen, unter denen die Betriebe in den britischen „enterprise zones“ produzieren dürfen: „Äußerst niedrige“ kommunale Steuern und Gebühren sind geplant. Branchentarifverträge sollen nicht mehr gelten. Statt dessen ein branchenübergreifender „Tarifverbund“ gelten. Vorgesehen ist ferner ein „Arbeitskräftepool“, über den sich Betriebe mit billigen Arbeitern versorgen können, falls die Auftragslage dies erfordert. Außerdem werden Investoren mit „flexibler Hallenbauweise (schnell, maßgeschneidert)“ und beschleunigter Genehmigung geködert.
„NewPark“ ist die aktualisierte Version einer Initiative, mit der die rheinische CDU bereits 1984 den Strukturwandel beschleunigen wollte – gestützt auf das Jahresgutachten des „Sachverständigenrats“. Konkret plädierten sie für einen Verzicht auf Zölle, Einfuhrsteuern und indirekte Steuern, für die Abschaffung „innovationshemmender bürokratischer Vorschriften“ und „Vertragsfreiheit auf dem Arbeitsmarkt“. Das Projekt verschwand jedoch in der Schublade: Der damalige nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister, Reimut Jochimsen, verabscheute die Idee, und der Problemdruck war für marktradikale Lösungen nicht hoch genug.
Beides hat sich geändert: Mit Wolfgang Clement regiert ein Wirtschaftsminister, der es versteht, neoliberale Politik auch bei der SPD hoffähig zu machen. Gleichzeitig setzt der Kohle-Kompromiß vom März vergangenen Jahres die Politiker unter Handlungsdruck: Vier Zechen der Emscher-Lippe-Region wurden bereits zu zwei Verbundbergwerken verschmolzen, von denen eines spätestens 2002 schließen wird. Und bis 2005 stehen weitere Rationalisierungen an. Der DGB-Kreisverband Recklinghausen prophezeit einen Verlust von bis zu 50.000 Arbeitsplätzen im Bergbau und davon abhängenden Branchen. Eine regionale Arbeitslosenquote von 25 Prozent droht.
Andere Branchen werden das nicht kompensieren können. Der zweite große Arbeitgeber der Region, die Chemie, mußte ebenfalls rationalisieren: Die Veba-Tochter Hüls strich über 5.000 Jobs allein am Standort Marl – mehr als ein Drittel der Stellen. Die anstehende Fusion von Hüls und Degussa wird weitere Jobs kosten.
Vor diesem Hintergrund versteht sich „newPark“ nicht nur als Mittel kurzfristiger Problementlastung – die IHK hofft auf 4.000 neue Arbeitsplätze –, sondern auch als Modell für die kapitalgerechte Aufbereitung altindustrieller Problemzonen: Unter „Laborbedingungen“ soll hier die neue Strategie erprobt werden, um sie bei Erfolg später auf andere Orte zu übertragen.
Die Regionalkonferenz Emscher-Lippe hat dem Projekt bereits zugestimmt. Ein Gutachter prüft bereits die rechtlichen Voraussetzungen. Kritische Stimmen, die vor miesen Arbeitsbedingungen und Ausbeutung der Umwelt warnen, fanden bisher kaum Gehör. Im Gegenteil. Mit dem DGB verloren sie einen möglichen Bündnispartner: Der will das Projekt „kritisch begleiten“. Dessen Befürchtung: Die machen das auch ohne uns – wenn wir uns weigern, wird es nur noch schlimmer.
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