Hannibal aus Königswinter

■ Erst blökt's im Psychothriller „Zucker für die Bestie“ noch ein wenig nach schweigenden Lämmern, aber dann, aber dann... Echte Sogwirkung hat's dann (20.15 Uhr, ARD)

Uff! Schwere Entscheidung heute abend. Sigmar Solbach bei RTL im „Fegefeuer der Lust“, weil er dummerweise einer Frau vertraut – könnte ein Erlebnis der besonderen Art werden. Pech für Solbach, daß die ARD da just zur selben Zeit ein Stück Fernsehen ausstrahlt, auf dem ebenfalls das Etikett „Psychothriller“ pappt und dessen Titel kaum weniger als plumpe Anmache daherkommt. Dennoch ist das ARD-Stück qualitativ von einem gänzlich anderen Stern als das RTL-Fegefeuer.

Für eine Seminararbeit in Revisionsrecht sucht sich Jura-Studentin Tanja gegen den Rat ihres Professors den Fall Kaltenbach aus. Der ist ein Gynäkologe, der vor zehn Jahren in einem spektakulären Indizienprozeß des bestialischen Mordes an drei Frauen überführt wurde und seitdem hinter Gittern sitzt. Ein Urteil, das seinerzeit nicht zuletzt deshalb für Furore sorgte, weil die Leichen der Opfer nie gefunden wurden.

Tanja besucht Kaltenbach im Knast, und schon bei ihrer ersten Begegnung scheint der Mann eine seltsame Faszination auf sie auszuüben. Schwer vorstellbar, daß dieser geheimnisvolle, aber überaus charmante Herr jener Killer sein soll, der seinerzeit als „Die Bestie von Königswinter“ durch die Medien ging. Zugleich ahnt Kaltenbach, daß die junge Studentin seine womöglich letzte Chance ist, noch einmal aus dem Knast herauszukommen. Wie auch immer.

Psychopathischer Killer kriegt im Knast Besuch von einer ebenso neugierigen wie ehrgeizigen jungen Frau – ja klar, das blökt mal wieder geradezu nach schweigenden Lämmern. Fraglos macht Matthias Habich hier als Dr. Kaltenbach auch ein bißchen auf Dr. Hannibal Lecter – und auch jene Clarice Starling mit Pagenschnitt und Brav-Kostümchen ist bei Christiane Pauls Tanja nicht allzu weit weg. Wenn man die Augen schließt, klingt sie sogar verblüffend nach der deutschen Synchronstimme von Jodie Foster.

Warum sich Autor Matthias Seelig und Regisseur Markus Fischer mit ihrem Intro unnötigerweise diesem Plagiatsverdacht aussetzen, weiß der Himmel. Denn nach einer Viertelstunde kommt hier alles völlig anders, aber nicht minder spannend als seinerzeit im Kino. Wenn auch nicht jede der unzähligen „überraschenden Wendungen“ auf Anhieb plausibel wird, entwickelt sich hier ein atmosphärisch dichter Psycho mit einer Sogwirkung, wie man sie auf der Mattscheibe nun wahrlich nicht alle Tage zu sehen bekommt.

Was viel mit dem famosen Spiel der beiden Hauptdarsteller (trotz prominent besetzter Nebenrollen handelt es sich hier eigentlich um ein Zwei-Personen-Stück) und nicht zuletzt auch mit der genialen Musik von Irmin Schmidt zu tun hat. Sorry, Solbach. Dumm gelaufen. Reinhard Lüke