Gardechef des Papstes ermordet

Der Oberst wurde nur sechs Stunden nach seiner Ernennung im Vatikan erschossen. Über die Motive des mutmaßlichen Täters gibt es bislang nur Spekulationen  ■ Aus Rom Werner Raith

Entsetzen in Rom: kurz nach 21 Uhr wurden am vergangenen Montag im Wohntrakt der Schweizergarde in Rom die Leichen des nur wenige Stunden zuvor zum neuen Kommandanten der päpstlichen Wache ernannten Oberst Alois Estermann, seiner Frau Clarys Meza Romero und des Unteroffiziers Cedric Tornay gefunden. Alle drei wiesen Schußwunden auf. Da die Dienstpistole des Unteroffiziers unter seinem Körper auf dem Boden lag und Kugeln daraus fehlen, nehmen die vatikanischen Behörden bisher an, daß der 23jährige seinen Chef und dessen Frau umgebracht und dann sich selbst erschossen hat.

Vatikansprecher Joaquin Navarro Valls erklärte gestern in einer Pressekonferenz, Tornay habe aus gekränktem Stolz getötet. Tornay habe sich bei einer Beförderung übergangen gefühlt und sei vor kurzem von Estermann wegen unerlaubter nächtlicher Abwesenheit schriftlich abgemahnt worden.

Die Tat geschah ausgerechnet am Vorabend des offiziellen „Gardistentages“, an dem die 1506 von Papst Julius II. eingerichtete Leibwache ihre neuen Mitglieder mit einem feierlichen Schwur aufnimmt. Estermann, um dessen Ernennung es Intrigen gegeben hatte, weil er nicht aus adeligem Hause stammt, sollte die Schutzmaßnahmen angesichts des Heiligen Jahres 2000 koordinieren.

Die Schweizergarde, derzeit ein Korps aus knapp hundert Mann mit einem halben Dutzend Offizieren, besteht durchweg aus Schweizer Staatsbürgern, die katholisch und mindestens 1,75 Meter groß sein müssen. Der unterste Rang, der „Hellebardist“, tut seinen Dienst in der Regel nur vier Jahre und kehrt dann heim; die Offiziere können auch jahrzehntelang beim Heiligen Stuhl bleiben. Just die lange Verbleibedauer ist es nun auch, die im komplottgläubigen Rom allerlei Gerüchte sprießen läßt. Schließlich begleitete Estermann den Papst auf vielen Auslandsreisen, war bei vielen Gesprächen zugegen, und er wohnte im sogenannten „IOR“-Turm, jenem Gebäude, in dem das vatikanische Bankinstitut untergebracht ist. Jene Einrichtung also, die in den 80er Jahren Schlagzeilen machte, weil sich ihr Chef, Erzbischof Marcinkus, als eng verbandelt mit der Geheimloge „P 2“ und einigen Mafiosi erwiesen hatte.

Doch nicht nur „alte“ Geschichten werden nun aufgewärmt, um mögliche Motive für die Bluttat aufzuspüren. So fällt Presseleuten plötzlich wieder ein, daß der Vatikan selbst vor einigen Wochen Alarm gegeben hatte, weil seinen Erkenntnissen nach zahlreiche italienische, aber auch ausländische und insbesondere internationale Sekten in die Ewige Stadt drängen und offenbar für das Jahr 2000 spektakuläre Aktionen planen. Auch daß am vergangenen Samstag unvermittelt 15.000 Besucher der Vatikanischen Museen ins Freie gescheucht wurden, kommt wieder in den Sinn – nach einer Bombendrohung hatte die Polizei alle Gebäude räumen lassen.

Am meisten sorgt allerdings in der Mordsache bereits der Vatikan selbst wieder für Gerüchte. So wurden die tödlichen Schüsse zwar bereits um 21 Uhr gehört, die Leichen wenige Minuten später gefunden – doch der Öffentlichkeit mitgeteilt wurde dies erst mit dreistündiger Verspätung. Danach gab es auch noch widersprüchliche Mitteilungen über die Lage der Toten und ihre Kleidung – und das Ganze endete mit einer totalen Nachrichtensperre und der Ankündigung einer Pressekonferenz um neun Uhr vormittags. Die verzögerte sich dann immer weiter in den Nachmittag hinein.

Die Gründe sind höchstwahrscheinlich ziemlich harmlos: Der Vatikan, in dessen nur 0,44 Quadratkilometer großem Territorium (knapp 1.500 Einwohner) gemeinhin kaum Straftaten geschehen, verfügt nur über einen einzigen Ermittlungsrichter ohne Mitarbeiter, zwei Gerichtsmediziner und zwei Kriminalpolizisten. Sollten sich die Ermittlungen komplizierter gestalten, ist die hauseigene Justiz überfordert. Doch hochnäsig hat Vatikan-Pressesprecher Navarra Vals bereits erklärt, man werde von dem „Recht der Inanspruchnahme auch italienischer Behörden bei Ermittlungen keinen Gebrauch machen“. Und das erinnert wiederum an einen anderen Fall – den merkwürdigen Tod von Papst Johannes Paul I., der 1978 leblos aufgefunden wurde. Auch damals wurden keine erfahrenen Leichenbeschauer hinzugezogen – weshalb bis heute der Verdacht keimt, der damalige Papst sei just von Leuten wie IOR-Chef Erzbischof Marcinkus umgebracht worden, weil er diesem das Handwerk hatte legen wollen. Portrait Seite 13