Sein Land, sein Weg

■ Reinhard Höppner, Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt, spürt Rückenwind für sein Modell: eine PDS-tolerierte Minderheitsregierung

Magdeburg (taz) – „Unser Land, unser Weg“ lautete der selbstbewußte Wahlslogan der sachsen-anhaltinischen SPD. Jetzt, gut eine Woche nach der Wahl, hat Ministerpräsident Reinhard Höppner auch wieder auf „seinen Weg“ zurückgefunden. Seinen Frust nur mühsam verbergend, hatte er sich am Montag vergangener Woche dem Druck von Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine gebeugt und steuerte, so wie es die Bonner SPD-Spitze wünscht, geradewegs auf eine Große Koalition zu. Doch mit jedem Tag ohne formale Entscheidung steigen die Chancen für die Wunschlösung Höppners und der rebellierenden Parteibasis in Sachsen-Anhalt: die Fortführung der PDS-tolerierten Minderheitsregierung.

Mit einer verklausulierten Formulierung hat Reinhard Höppner erst einmal Ruhe in seinen Landesverband gebracht. Vor zwei Tagen empfahlen der SPD-Landesparteirat und der Landesvorstand gleichlautend, „in konkreten Verhandlungen die Möglichkeit einer gemeinsamen Regierung mit der CDU auszuloten“. Beide Seiten, Gegner wie Befürworter eines Bündnisses mit der CDU, können sie in ihrem Sinne auslegen. Das Wort „Koalitionsverhandlungen“ wird bewußt vermieden. Und Höppner betont stärker als noch vor einer Woche, die Gespräche seien „ergebnisoffen“.

In Sachsen-Anhalt nähme man es der SPD übel, beteiligte sie den Wahlverlierer CDU an der künftigen Regierung. Die Büros der Partei werden mit warnenden Anrufen und E-Mails von der Parteibasis und aus der Bevölkerung regelrecht bombardiert. Typisch für die Stimmung ist ein Leserbriefschreiber aus Halle, der in der Mitteldeutschen Zeitung schrieb, Höppner habe „offensichtlich nichts Besseres im Sinn, als seinen Parteiauftrag aus Bonn zu erfüllen. Versteht er sich dem Lande und seinen Wählern verpflichtet, oder ist er Parteisekretär von Hannoverschen Gnaden?“ Anders als in Westdeutschland macht eine indirekte Regierungsbeteiligung der PDS in Sachsen-Anhalt niemandem Angst. Im Gegenteil.

Gäbe es statt dessen eine Koalition mit der CDU, „dann war das die letzte Regierung mit SPD-Beteiligung“, ist sich Wolf-Rüdiger Voigt sicher. Der SPD-Kreisvorsitzende und Wahlkampfmanager in Schönebeck meint, „der enttäuschte Wähler wird uns nie wieder etwas glauben“. Vor allem bei den Bundestagswahlen würde die SPD in Sachsen-Anhalt abstürzen.

Auch inhaltlich spricht nach Ansicht einer klaren Mehrheit in Sachsen-Anhalts SPD alles für die PDS. Nur so lasse sich die Politik der vergangenen vier Jahre, die von den Wählern ja honoriert wurde, fortsetzen: Mit teuren Sonderprogrammen wurde 1997 jedem Jugendlichen ein Ausbildungsplatz garantiert. Ebenfalls viel Geld floß in Jobs auf dem zweiten Arbeitsmarkt, auch die Kommunen im Land bekamen mehr Zuschüsse aus dem Landesetat als anderswo. Auch mit der liberalen Ausländerpolitik, vielen Frauenförderprojekten und dem konsequenten Widerstand gegen das Atommüllendlager Morsleben wäre es in einer Großen Koalition wohl vorbei. Manch ein Anhänger der PDS-Tolerierung mag auch darauf schielen, daß die Sozialdemokraten bei einer Alleinregierung mehr Plätze am Kabinettstisch unter sich aufteilen könnten.

Einig sind sich alle in der SPD nur darin, daß es keine Koalition mit der PDS geben wird und keinen formellen Vertrag über die Tolerierung. Wie bisher könnte die SPD-Minderheitsregierung aber die Unterstützung der PDS bei den jeweiligen Sachfragen aushandeln.

Doch die Bonner SPD-Spitze fürchtet, daß eine Zusammenarbeit mit der SED-Nachfolgepartei dem von der CDU angekündigten Lagerwahlkampf im Herbst Nahrung geben und den Sieg des Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder gefährden könnte. Landespolitisch brächte eine Große Koalition den Vorteil einer „klaren Regierungsmehrheit“, wie Sachsen-Anhalts Innenminister Manfred Püchel, einer der wenigen bekennenden Freunde dieser Konstellation, meint. Mit der CDU wäre auch eine sparsame Haushaltsführung am ehesten machbar. Nicht zuletzt wäre jeder Verdacht entkräftet, die Stimmen der rechtsextremistischen DVU hätten irgendeinen Einfluß auf die Landespolitik.

Gegen eine Große Koalition spricht die tiefe Abneigung von SPD und CDU in Sachsen-Anhalt. „Das wäre eine zerstrittene Regierung“, hatte SPD-Partei- und Fraktionschef Rüdiger Fikentscher vor der Wahl gesagt. Die Sozialdemokraten tragen der Union nach, daß sie die Regierung Höppner in den vergangenen vier Jahren mit Untersuchungsausschüssen und Mißtrauensanträgen zu Fall zu bringen suchte.

In den nächsten Tagen starten also die Gespräche mit der CDU – mit zweifelhaften Erfolgschancen. Beide Seiten verdächtigen sich gegenseitig, insgeheim gar kein Interesse an einem Erfolg zu haben. Die CDU könnte Druck aus Bonn dazu bewegen, die Verhandlungen platzen zu lassen. Die SPD könnte nach einem Scheitern das gewünschte Tolerierungsmodell fortsetzen. Und vielleicht schließt sie ja eine Große Koalition nur, um sie nach der Bundestagswahl wieder aufzulösen und dann „ihren Weg“ mit der PDS zu gehen. Auf jeden Fall werden sich die Verhandlungen in die Länge ziehen, man wird sich belauern.

CDU-Fraktionschef Christoph Bergner stellte gestern klar, seine Partei werde eine Minderheitsregierung nicht tolerieren, man wolle auf jeden Fall einen Koalitionsvertrag. Daß die CDU klarer Verlierer der Landtagswahl ist, daß sie ein Drittel ihrer Anhänger verloren hat, scheint Bergner immer noch nicht begriffen zu haben. Großmäulig forderte er, Höppner müsse der CDU entgegenkommen, denn mit 36 Prozent sei die SPD „weit weg von 50 Prozent und vom Anspruch auf eine Alleinregierung“. Mit einem solchen Ergebnis, so Bergner, sei die CDU in Niedersachsen in der Opposition. Toralf Staud