Mit Chrysler hat sich Daimler die Rosine rausgepickt

■ Durch den geplanten Zusammenschluß der beiden großen Autobauer hat die Welle der Megafusionen nach Banken und Versicherungen nun auch die klassische Industrie erreicht

Banken, Versicherungen und Pharmakonzerne haben gezeigt, wie Megafusionen gemacht werden. Jetzt könnte der Knoten auch in der Autobranche platzen. Mit einem Wert von 35 Milliarden Dollar wäre eine Fusion zwischen Daimler-Benz und Chrysler sogar der größte Zusammenschluß in klassischen Industrien überhaupt. Analysten sind sich einig, daß die beiden Konzerne damit einen guten Deal machen würden.

„Daimler-Benz und Chrysler ergänzen sich in der Produktpalette und in den Absatzmärkten“, erläutert Klaus-Jürgen Melzner, Analyst der Investmentbank Deutsche Morgan Grenfell. Während Chrysler in Europa nicht viele Autos verkauft, ist Daimlers Absatz in Nordamerika und in Asien bislang nicht sehr groß. Chrysler produziert vor allem Mittelklassewagen und leichte Trucks, Daimler ist hingegen im Luxussegment stark. Für Analyst Lothar Lubinetzki von Enskilada Securities in London liegt die Zukunft auf dem US-Markt besonders in den leichten Trucks: „Die werden den Pkw- Markt in einigen Jahren hinter sich lassen.“

Kommt die Fusion zustande, würde sich der Druck für andere Autohersteller erhöhen, sich mit Konkurrenten zusammenzuschließen, um die Kosten weiter zu senken, schätzt Hans-Jürgen Melzner. Denn neben besseren Vertriebsmöglichkeiten würden beide Autobauer langfristig Kosten durch gemeinsame Entwicklung von Modellen und Technologien sowie durch gemeinsame Zulieferer sparen.

Auch Vereinsbank-Analyst Peter Thilo Hasler sieht die treibende Kraft für die Fusion in solchen möglichen „Synergieeffekten“. „Von daher hat sich Daimler unter den drei großen Autoherstellern in den USA den besten herausgesucht“, sagt Hasler. Eine Erhöhung der Marktanteile, die häufig mit Fusionen anvisiert wird, spiele bei einem Daimler-Chrysler-Zusammenschluß keine wesentliche Rolle.

Die Tatsache, daß erstmals ein US-Autokonzern mit einem deutschen Autohersteller zusammengehen will, zeigt nach Haslers Ansicht, daß die Globalisierung in vollem Gange ist. „Es gibt keine länderspezifische Nachfrage mehr.“ Vor vier Jahren war allerdings eine Fusion zwischen Volvo und Renault gescheitert. In letzter Minute kippten die Aktionäre des schwedischen Autobauers den Zusammenschluß. Seitdem war es in der Branche ruhig gewesen.

„In der Autoindustrie waren die Marktstrukturen mit durchschnittlich zwei, drei Herstellern pro Land zu starr“, erläutert Norbert Barth, Analyst der BHF-Bank, den Unterschied zwischen Autoindustrie und Finanzsektor. Dort seien die Märkte bisher viel stärker fragmentiert gewesen, so daß sich Fusionen lohnen.

Daß der Plan von Chrysler und Daimler dasselbe Schicksal ereilt wie die geplatzte 100-Milliarden- Dollar-Fusion von Glaxo Wellcome und Smithkline Beecham, hält Barth für unwahrscheinlich. Branchenkenner hatten die unterschiedliche Unternehmenskultur der beiden Pharmariesen für das Scheitern verantwortlich gemacht. Doch Daimler hat sich unter Jürgen Schrempp dem angelsächsischen Unternehmensmodell, das sich am „Shareholder Value“, dem Ertrag für die Aktionäre, orientiert, angenähert. Außerdem erstellt Daimler seine Konzernbilanz seit 1993 nach US-amerikanischen Regeln. Das war Voraussetzung gewesen, um an die US-Börse zu gehen.

Ein Ende der Fusionen ist derzeit in keiner Branche abzusehen, darin sind sich Analysten einig. Es sei auch schwer, eine Schallmauer bei den Fusionswerten zu ziehen, sagt Norbert Barth. Den Rekord hält zur Zeit die Anfang April angekündigte Fusion von Citibank und Travelers Group: Ihr Volumen liegt bei rund 140 Milliarden Dollar. Die Gesamtsumme aller Fusionen lag im vergangenen Jahr mit 1,6 Billionen Dollar um mehr als 50 Prozent vor der von 1996, das bis dahin Rekordjahr gewesen war. Keine Zukunft sehen Analysten allerdings in branchenfremden Fusionen sowie Übernahmen, wie etwa Daimlers Flop mit dem Kauf von AEG zeigt. Niels Boeing