Wider die Verzerrung

■ Aufklärung durch russische Kriegsfotografie im Museum Karlshorst

Der Krieg ist längst nicht vorbei. Wie stark die Erinnerung an den Ostkrieg innerhalb des Zweiten Weltkrieges die Überlebenden geprägt hat und immer noch prägt, ließ sich jüngst im Fernsehen besichtigen. In den sechs Teilen der ARD-Serie „Hitlers Soldaten“ war viel die Rede von den Leiden, den Enttäuschungen der ehemaligen Wehrmachtskämpen, sehr wenig von den Opfern auf der anderen Seite. Die mehr oder weniger ungeschönte Arbeit im Steinbruch subjektiver Erinnerung mag trotzdem eine Berechtigung haben. Schließlich haben die Erzählungen der Überlebenden von insgesamt zehn Millionen deutscher und österreichischer Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront kämpften, das deutsche Bild von „dem Russen“ nachhaltiger beeinflußt als jedes andere Ereignis im 20. Jahrhundert. Die politische Ächtung des Krieges darf nicht die Ächtung der wie auch immer haarsträubenden Erinnerung mit einschließen, wollen wir anders nicht zur Wiederholung verdammt sein.

Das deutsch-russische Museum in Berlin-Karlshorst arbeitet seit 1995 beharrlich an der Aufklärung propagandistisch und subjektiv verzerrter Erinnerung. In der von deutschen und russischen Historikern gemeinsam erarbeiteten Dauerausstellung über den „Großen Vaterländischen Krieg“, in Sonderausstellungen, die sich dem Verhältnis beider Staaten widmen. Derzeit sind im Gartensaal in Karlshorst Fotografien von Michail Sawin, des ehemaligen Fotografen einer weißrussischen Armeezeitung, zu sehen.

Sawin, vom Dreher und Bestarbeiter der Stachanow-Bewegung zum Berufsfotografen aufgestiegen, fotografierte den Krieg vom ersten Tag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion bis zur bedingungslosen Kapitulation der letzten Verbände in Ostpreußen am 9. Mai 1945. Die Ausstellung zeigt nur wenige Auftragsarbeiten, Heldenporträts und Bilder vom Vormarsch der Roten Armee, statt dessen Aufnahmen jenseits der im stalinistischen Reich zugelassenen Erfahrung. Verwüstete, weißrussische Städte, erschöpfte Soldaten auf dem Marsch an die Front, Frauen und Kinder, die sich selbst vor den Pflug gespannt haben.

Und immer wieder der Blick in die Gesichter des Feindes. Ein durchaus ungewöhnlicher Blick, der dem Gegner die Würde zugesteht, die deutsche Kriegsfotografen den „bolschewistischen Untermenschen“ regelmäßig nahmen. Ein Landser auf dem Weg in die sowjetische Kriegsgefangenschaft lacht erleichtert in die Kamera. Dieselben allseits entspannten Gesichter zeigt die geradezu grotesk anmutende Aufnahme einer Panzerparade vor zwei sowjetischen Offizieren, mit der sich deutsche Truppen in Ostpreußen in Kriegsgefangenschaft begeben. Den Titel der Ausstellung, „Das mitfühlende Objektiv“, belegt das vielleicht beeindruckendste Foto. Drei mit Birkenkreuzen geschmückte Gräber deutscher Soldaten auf einem von Hochwasser überfluteten Feld. Ein memento mori, das den Unterschied zwischen Freund und Feind in Trauer aufhebt. Im Karlshorster Museum wird der heutige Jahrestag der deutschen Kapitulation am authentischen Ort festlich begangen. Um Mitternacht bringen ein russischer und ein deutscher Kriegsveteran im Kapitulationssaal einen gemeinsamen Toast „auf ein weiteres Jahr ohne Krieg“ aus. Vorher, um 17.20 Uhr, widmet sich eine Podiumsdiskussion der Frage „Was sind uns die sowjetischen Denkmale wert?“. Dazwischen spielen zwei Kapellen russische und amerikanische Musik der vierziger Jahre, dazu gibt's – Versöhnung geht durch den Magen – russisches Essen. Nikolaus Merck

„Das mitfühlende Objektiv“ im Museum Berlin-Karlshorst, Zwieseler Straße 4