■ Frankreichs Widerstand gegen den europäischen Bankenchef war mehr als eine nationalistische Farce. Er zielte auf Tietmeyer – zu Recht
: Letztes Gefecht, aber Streit ohne Ende

Die Bonner Koalition versucht Schadensbegrenzung nach der verpatzten Brüsseler Geburtstagsfeier. Die Sprachregelung gab Wolfgang Schäuble vor: Man solle über der dissonanten Begleitmusik nicht das harmonische Gesamtergebnis vergessen. Die Sprecherin des französischen Staatspräsidenten verwies darauf, daß die erste Unterhaltung zwischen Chirac und Kohl bei dem Gipfel in Avignon im Hochzeitssaal des Rathauses stattfinde. „Das ist ein gutes Zeichen.“ Wer immer von den beiden die Braut gibt, in Weiß dürfte sie kaum erscheinen.

Die Währungsunion beseitigt nicht die bestehenden Differenzen in der EU, sondern gibt ihnen eine neue Form. Der Brüsseler Eklat hat das drastisch in Erinnerung gerufen. Wie lange das Mittagessen der Staats- und Regierungschefs gedauert habe, interessiere übermorgen überhaupt niemanden mehr, meinte Schäuble im Bundestag. Recht hat er. Aber daß es gleich zu Anfang der Währungsunion Streit gegeben hat, wird nicht erst in vier Jahren wieder in den Kopf kommen. Streit wird auf absehbare Zeit fester Bestandteil der Währungsunion sein. Das ist nicht schlimm, wenn er in aller Öffentlichkeit ausgetragen wird.

Von französischer Seite werden zwei Argumente für die hartnäckige Haltung ihrer Verhandlungsdelegation vorgetragen. Nur das eine wird hierzulande wahrgenommen: Frankreich sei die zweitgrößte Wirtschafts- und Finanzmacht in der EU, deshalb sei es nicht mehr als gerecht, wenn es bereits in der ersten Amtsdauer den Vorsitz einnehme, nachdem Frankfurt am Main als Ort der Europäischen Zentralbank vereinbart worden sei. Frankreich stelle jetzt für vier Jahre den Vizepräsidenten und dann für weitere acht Jahre den Präsidenten, so warf sich Chirac in die Brust vor dem Fernsehvolk. Engstirniger Nationalismus sei das, echote es diesseits des Rheins. Auch in Frankreich gab es Stimmen, die von einer nationalistischen Farce sprachen und den Präsidenten mit einem Mausefallenhändler verglichen.

Das andere Argument lautete in den Worten von Dominique Strauß-Kahn: „Es ist unakzeptabel, daß die Staats- und Regierungschefs jemanden wählen sollen, der bereits gewählt worden ist, nämlich von den nationalen Zentralbankpräsidenten der EU. Es gibt dazu eine Vorgeschichte. Als Duisenberg zum Präsidenten des Europäischen Währungsinstitutes ernannt wurde, hat unser Staatschef klargestellt, daß diese Wahl keine Entscheidung über den Zentralbankchef sei. Dies ist eine Frage des Prinzips, und das ist der Grund dafür, daß Frankreich entschied, einen eigenen Kandidaten aufzustellen. Die Wahl muß auf politischer Ebene getroffen werden, und sie ist auch die beste Garantie für die Unabhängigkeit der Präsidenten in der EU.“

Dieses republikanische Argument wird in der französischen Presse weitgehend geteilt. Mit ihm also lohnt es, sich auseinanderzusetzen.

Der Form nach prinzipiell, aber schwach – egal, woher der Vorschlag kommt, den Auftrag erteilt der Europäische Rat –, lautet der sachliche Gehalt des Arguments: Wir lassen uns den Präsidenten der Europäischen Zentralbank nicht vom Chef der Deutschen Bundesbank aufs Auge drücken.

Der Schlag zielte auf Tietmeyer, auch wenn er Kohl traf. Tietmeyer hat sich in der ganzen Konvergenzphase des Euro als der eigentliche Potentat Europas und Nörgler von Amts wegen aufgespielt. Damit führte er auch alle Einwände, daß die Währungsunion die Macht in die Hände einer demokratisch nicht kontrollierten Behörde übergebe, ad absurdum: In der Tat gab es in den letzten Jahren keine Institution und keine Person, bei der wie bei der Bundesbank und Tietmeyer europäische Macht und politische Legitimation derart weit auseinanderlagen.

In dieser Stoßrichtung konnte Chirac auf großen Widerhall in der französischen Öffentlichkeit rechnen. So kommentiert Le Monde erfreut: „Gedemütigte Bundesbank“. Besondere Genugtuung zog der Kommentar aus der Tatsache, daß die als Schiedsinstanz herbeizitierten Märkte die Brüsseler Entscheidung durchaus goutiert hätten: „Die Drohungen, wonach bei einem zweifelhaften Kompromiß die Bundesbank ihr für den Euro günstiges Urteil revidieren und die Leitzinsen erhöhen könne, hat die Investoren nicht erschreckt. Für sie hat die Bundesbank, wenn sie nicht schon tot ist, zumindest die Macht verloren, mit einem bloßen Fingerschnalzen eine Währungskrise in Europa auszulösen. Der wirkliche ,Sieg‘ Frankreichs in Brüssel liegt zweifellos in der vorzeitigen Demonstration, daß der Euro, wenn er in acht Monaten in Kraft tritt, der währungspolitischen Allmacht Deutschlands in Europa ein Ende bereiten wird.“

Die Schwierigkeit der europäischen Währungsunion war immer, die Maßstäbe der Deutschen Bundesbank zu verankern und zugleich ihre Dominanz zu beseitigen. Das eine war das Interesse der Bundesrepublik, das andere das Frankreichs. Im Vorfeld des Euro ist es der Bundesrepublik so perfekt gelungen, die Vorstellungen der Bundesbank durchzusetzen, daß Frankreich bloß noch der Schwarze Peter blieb. Den hat es ausgespielt.

Hierzulande ist derzeit viel davon die Rede, daß die Achse Bonn–Paris durch den Brüsseler Gipfel angeschlagen sei. Richtig ist eher, daß diese „Achse“ zum letzten Mal, wenn auch eiernd, funktioniert hat: Chirac und Kohl haben den unerläßlichen Kompromiß geschlossen, aber in Zukunft werden es alle Regierungschefs mit einer Institution zu tun haben, die nach vertraglichen Vorgaben schlecht und recht ihre europäischen Aufgaben erfüllen wird.

An der Zentralbank wird sich eine öffentliche Meinung entzünden, die ihre Protagonisten nicht mehr in den Staats- und Regierungschefs haben wird. Im Europäischen Rat erscheinen Differenzen als unterschiedliche nationale Interessen wie jetzt in Brüssel. Die Zentralbank dagegen wird ihr Fachinteresse – stabiles Geld – als europäisches Gesamtinteresse geltend machen. Mit dem gleichen Anspruch werden sich andere Interessen quer durch Europa zu Wort melden. Die Regierungen werden nicht mehr die erste Geige spielen.

In Brüssel fand ein letztes Gefecht statt: Zum Weinen oder zum Lachen. Nie mehr werden sich die Staaten in der gleichen Weise gegenüberstehen, wenn der Euro funktioniert. Frankfurt, zu keiner Zeit Hauptstadt eines Staates, kann zum Symbol einer europäischen Renaissance werden: mit Duisenberg und Trichet, aber ohne Tietmeyer. Joscha Schmierer