Leben – und sterben lassen

■ Im benachbarten Sulingen plant ein Verein das erste Kinderhospiz in Deutschland

Über den Tod spricht man nicht gern. Schon gar nicht über das Sterben von Kindern. Umso beeindruckender das Interesse an einem Projekt, das zu Beginn des Jahres in Sulingen vorgestellt wurde und mittlerweile viele UnterstützerInnen gewinnen konnte: Geplant ist die Gründung eines Kinderhospizes, das, wenn es realisiert wird, das erste in Deutschland wäre.

Initiiert wurde das Projekt von Gaby Letzing, die vor Jahren in Sulingen eine ambulante Kinderkrankenpflege aufbaute. Unter dem Motto „Krank und klein, bleib daheim“ betreut sie mit ihrem Team schwerkranke Kinder. Darunter solche, die keine Chance mehr auf Heilung ihrer Krankheit haben und als „austherapiert“ gelten. Kinder, für die medizinisch nichts mehr getan werden kann, aber, so Gaby Letzing, sehr wohl pädagogisch: „Man kann ihre Lebensqualität verbessern, indem man sie kindgerecht und nach individuellen Bedürfnissen versorgt.“

Damit aber sind die Krankenhäuser ebenso überfordert wie die Eltern, zumal die Krankenkassen mit Zuschüssen für die ambulante Pflege und Nachtwachen geizen. „In der häuslichen Kinderkrankenpflege erleben wir immer wieder, wie stark die körperliche und emotionale Belastung der Eltern ist, vor allem der Mütter“, sagt Letzing. Die ständige Pflege und Verfügbarkeit rund um die Uhr, der drohende Verlust des Kindes, die Konfrontation mit der todbringenden Krankheit, das schlechte Gewissen beim bloßen Gedanken, das Kind mal für eine Nacht oder Woche abzugeben, zermürbt die Kräfte. „Einmal eine Nacht durchschlafen, das hätte uns schon sehr geholfen“, versichert eine Mutter, die vor wenigen Wochen ihr Kind verloren hat.

Viele Ehen zerbrechen an solchen Bedingungen, bestätigt Dr. Wolfgang Broxtermann, Oberarzt der Kinderklinik Links der Weser. Alltäglich erlebt er die Not der Eltern, ihre Isolation, ihre Überforderung, und manchmal nimmt seine Klinik kranke Kinder auf, weil nicht sie, sondern die Eltern sich in einer akuten Krise befinden. Eine Notlösung, nicht im Sinne der Kinder, die in der Klinik die vertraute Atmosphäre vermissen und vor allem die ständige Bezugsperson. Das geplante Kinderhospiz soll die Lücke schließen, einen Ort schaffen, wo nicht nur das Sterben im Mittelpunkt steht. „Es geht um eine Lebensbegleitung“, betont Gaby Letzing. Das heißt: Die Kinder mit ihrer schweren Erkrankung anzunehmen, sie mit lindernden Therapien zu versorgen, ihr Leben durch Schmerzmittel und intensive Zuwendung so angenehm wie möglich zu gestalten sowie Eltern und Kinder auf das bevorstehende Sterben vorzubereiten. Das Hospiz soll den Eltern die Möglichkeit geben, sich aus der oft viele Jahre dauernden schwierigen Pflege für einige Zeit zurückziehen zu können, um wieder Kraft zu schöpfen. Es fungiert darüber hinaus als Netzwerk, von dem aus Kontakte zu ambulanten Pflegediensten, zu Beratungsstellen und anderen Hilfsangeboten am Wohnort der Kinder geknüpft werden können, damit eine schnelle Heimkehr der Kleinen möglich wird.

Dieses Konzept, in Deutschland ein Novum, hat sich in anderen Ländern längst bewährt. Es stammt aus England, wo bereits 18 Kinderhospize arbeiten. Gaby Letzing plant, analog zum englischen Modell, ein für ganz Norddeutschland zuständiges Kinderhospiz mit acht bis zehn Plätzen. Aufgenommen werden sollen Kinder mit einer Krankheit, aufgrund der sie voraussichtlich das 19. Lebensjahr nicht erreichen. Neben der intensiven Versorgung der Kinder gehören pädagogische, psychologische und heiltherapeutische Maßnahmen sowie Freizeitangebote zum Programm des Hospizes.

Ein solcher Ansatz hat seinen Preis: Mit 1.000 Mark kostet ein Tag im englischen Kinderhospiz das Doppelte von dem, was eine deutsche Kinderklinik durchschnittlich veranschlagt. Andererseits belegen Studien, daß Eltern von Hospizkindern mehr Zeit ihnen verbringen und weniger Angstgefühle haben als Eltern anderer todkranker Kinder. Weniger Schuldgefühle, weniger somatische Beschwerden und weniger Ehe- und Suchtprobleme erübrigen Folgekosten, die durch therapeutische Maßnahmen oder Arbeitslosigkeit entstehen.

Auf die Unterstützung der Krankenkassen setzt daher auch die Initiative in Sulingen. In ersten Verhandlungen mit den Kassen signalisierten deren VertreterInnen Bereitschaft zum Gespräch, bemängelten jedoch das Fehlen offizieller Bedarfszahlen. Ein schwaches Argument, denn fest steht, daß die Zahl der unheilbar kranken Kinder parallel zum medizinischen Fortschritt wächst.

Wer dem Verein, der nach einem Haus für das Kinderhospiz sucht, helfen will, kann sich unter der Telefonnummer 04271/71676 informieren.

Dora Hartmann