Das teuerste Buch der französischen Geschichte

■ Gericht verlangt Rückrufung eines Buches in einer Stunde. Geldstrafe in Millionenhöhe

Paris (taz) – „Die Mafia der Handelsgerichte“ lautet der Titel des Buches. Sein Inhalt ist eine Philippika gegen korrupte Machenschaften der französischen Justiz bei Firmenbankrotten und -auflösungen. Wenige Wochen nach seinem Erscheinen droht das Werk jetzt seinen Verlag Albin Michel in den Ruin zu treiben: Ein Richter in der bretonischen Stadt Brest hat ihn zu einer Strafe von 5,3 Millionen Franc (1,6 Millionen Mark) verurteilt. Mehr als je zuvor ein französisches Buch „gekostet“ hat.

Unisono schreien die großen französischen Verleger „Skandal“, reden von einem „wirtschaftlichen Todesurteil“ für ihre Branche und befürchten, daß nun eine „Selbstzensur“ einsetzt und niemand mehr den Mut aufbringt, Enthüllungsbücher zu veröffentlichen. Gemeinsam riefen die Chefs verschiedener Verlage die Kultur- sowie die Justizministerin um Hilfe und kündigten an, das umstrittene Werk notfalls in einer konzertierten Aktion aller Buchverleger herauszubringen.

Autor Antoine Gaudino, ein ausgesprochen rechtslastiger Ex- Polizist, der seine ersten dienstlichen Sporen bei Ermittlungen über verbotene Parteienfinanzierungen sammelte und sich anschließend mit einer Privatdetektei selbständig gemacht hat, denunziert in seinem Ende Mai veröffentlichten Werk, was seit langem bekannt ist, aber nie zuvor systematisch erfaßt worden war: So mancher an Gerichten und Staatsanwaltschaften verdient bei Firmenpleiten und Zwangsversteigerungen mit.

Ein namentlich genannter Treuhänder klagte. Am 28. April verpflichtete ein Richter in Brest in einem Eilverfahren den Pariser Verlag Albin Michel, vier Seiten aus dem Buch zu entfernen und das ursprüngliche Exemplar binnen einer Stunde aus dem Handel zu ziehen. Für jedes danach noch im Verkauf befindliche Buchexemplar setzte der Richter eine Geldstrafe von 100.000 Franc (30.000 Mark) an. Drei Stunden später präsentierten Gerichtsvollzieher in Brest 53 Exemplare, die sich „noch immer“ im Handel befanden. Macht 5,3 Millionen Franc Strafe.

Der Verlag Albin Michel hatte in den Stunden nach dem Urteil 1.500 Faxe und über 5.000 Briefe an Buchläden verschickt. 28.000 Exemplare kamen so zurück. Ein Verlagssprecher wies darauf hin, daß es unmöglich sei, die rund 20.000 französischen Buchläden binnen einer Stunde zu verständigen.

Rückzugsaktionen von Büchern nach gerichtlichen Einsprüchen hat es in Frankreich immer wieder gegeben. Aber bislang galten realistische Fristen, und die Geldstrafen hatten eher symbolischen Charakter. Dorothea Hahn