■ Ungarn: Wahlerfolg für die Rechten, Niederlage für die Liberalen
: Bewußtlose Verweigerung

„Die Abstimmung ist gültig, aber noch nicht endgültig.“ Dieser Hinweis stand in der Nacht vom Sonntag zum Montag auf den Anzeige- und Grafiktafeln des zentralen ungarischen Wahlbüros. Und das war kein Scherz, sondern ein Hinweis, daß bei den Wahlen nicht in allen Kreisen die erforderlichen 50 Prozent Beteiligung erreicht wurden und die Abstimmung deshalb wiederholt werden muß.

Doch der kleingedruckte Hinweis auf den Anzeigetafeln läßt sich auch in anderer Hinsicht lesen. Nach den ungarischen Parlamentswahlen vom Sonntag ist noch immer alles offen. Und das nicht nur in bezug auf die Wahlergebnisse, die sich erst in zwei Wochen, nämlich bei der zweiten, entscheidenden Runde der Parlamentswahlen herausstellen werden.

Trotz des Erfolgs der konservativen Jungdemokraten und der rechtspopulistischen Kleinlandwirte, und selbst trotz des erschreckenden Sprungs der rechtsextremistischen Partei der ungarischen Wahrheit und des ungarischen Lebens aus der Bedeutungslosigkeit ins Parlament wäre es falsch, von einem eindeutigen, bewußten Rechtsruck der ungarischen Wähler zu sprechen. In Ungarn herrscht vielmehr handfeste Verunsicherung.

Obwohl es ungarischen Politikern gefällt, die Zeit des Übergangs für beendet zu erklären, sind sie selbst und ihre Parteiprogramme Indizien jener Unsicherheit. Die Sozialisten betreiben eine neoliberale Wirtschaftspolitik und sind in zahlreiche Korruptionsaffären verstrickt. Ihre politische Mentalität ist in einem verschwommenen Übergangsstadium zwischen postkadaristischem Paternalismus und Demokratie steckengeblieben. Die Freidemokraten haben ihren Charakter als Partei der ehemaligen Bürgerrechtler und liberalen Intellektuellen vollständig verloren. Die nationalkonservativen Jungdemokraten bezeichnen sich als „nationalliberale Bürgerpartei“ – wollen die Macht freilich mit einem staatswirtschaftlichen Programm erobern. Und die Kleinlandwirte bieten substanzloses rechtspopulistisches und nationalistisches Geschrei an.

Angesichts dieses trostlosen Ensembles haben es viele vorgezogen, gar nicht zu wählen. Eine – noch kleine – Minderheit hat die (Pseudo-)Alternative des radikalen, destruktiven Neins gewählt: die „Partei der ungarischen Lüge und des ungarischen Todes“, wie sie der frühere Bürgerrechtler und Philosoph Gaspar Miklos Tamas bezeichnet. Alles in allem sind dies keine guten Aussichten für die ungarische Demokratie. Keno Verseck