Lauter Groschenblätter

■ Gibt es bald britische Verhältnisse auf deutschen Zeitungsmärkten? In Berlin werden Zeitungen und Wohnungsanzeigen fast verschenkt

Am meisten durch den Wind waren sie bei der Berliner Zeitung. So viele Exemplare hatte man seit den seligen Tagen, als man noch Parteiblatt der DDR-Kapitale war, nicht mehr gedruckt. 450.000 Stück, nur weil die Berliner erstmals rappelvoll mit Wohnungsinseraten sein sollte. Heißa, was ein flottes Blatt, sollten da wohnungssuchende Neukäufer denken. Schnell mußte was Unterhaltsames auf Seite 3, schnell mußte Guildo Horn ins Feuilleton, wo sonst die teuren Ex-FAZ-Schreiber feingeistige Gedanken spinnen. Und überall im Blatt kündeten als Artikel getarnte Verlagsmitteilungen von der Offensive.

Seit dem Wochenende ist wieder die Stunde der Verlagsmanager in Berlin, da ist es gut, wenn man schon mal signalisiert, daß Journalisten nicht mehr die erste Geige spielen. Eigentlich hatte genau das der Verlagskonzern Gruner + Jahr (G+J) erzählt, als sein Ostberliner Blatt vor einem halben Jahr zum großen Qualitätsangriff auf die Westberliner Konkurrenten Tagesspiegel (Auflage: 130.000) und Berliner Morgenpost (167.000) blies. Der Qualitätsangriff kommt freilich nicht so schnell voran – wenngleich die Berliner (216.000) abgesehen von ihrem blutrünstigen Lokalteil, Niveau gewonnen hat. Aber so rasch beißen die ersehnten Westleser nicht an. Zeit für einen kleinen Preiskrieg.

Andreas Albath, Verlagschef der Berliner, spricht lieber von „ganz normalem Wettbewerb“. Dabei ist er es, der unter Maklern rote Broschüren verteilt, auf denen groß „Angriff!“ und „Volltreffer!“ steht. Seit dem Wochenende verschenkt die Berliner Zeitung ihre Wohnungsanzeigen fast – jedenfalls die im Berliner Westen, wo das Blatt kaum jemand liest.

Eine Breitseite gegen die Berliner Morgenpost (BM) des Springer-Konzerns. Das eher spröde Westblatt, in dem der Immobilienteil oft noch die spannendste Rubrik ist, lebt nämlich großteils von sogenannten Rubrikenanzeigen – Angeboten für Wohnungen, Autos und Stellen. „Wir mußten dem von zwei Seiten begegnen“, sagt Springer-Vorstand Claus Larass. Zuerst senkte er ebenfalls die BM-Preise für Wohnungsinserate – besonders im Osten, wo die Berliner gelesen wird.

Als nächstes wurde dann der BM-Verkaufspreis gesenkt: Am Kiosk kostet die BM mit 90 Pfennig gerade noch 10 Pfennig mehr als eine Bild, und auch die Abonnenten wurden beschenkt. Prompt war gestern die Morgenpost voll mit Berichten über Berliner, die wegen der Preissenkung aus dem Häuschen sind. Ob der Schritt den Verlag ebenso glücklich macht, ist indes offen. Die Verlage verdienen mindestens zwei Drittel des Geldes mit Anzeigen, nicht im Verkauf; daher galt Kiosk-Dumping hierzulande als Tabu.

Warnendes Beispiel war England: In London hatte Medienzar Rupert Murdoch mit mehreren Dumping-Wellen seiner Times versucht, den Independent vom Markt zu schubsen. Bei Murdoch war August Fischer Topmanager – und der ist jetzt Oberchef bei Springer.

Auch Fischer müßte wissen, daß sein Dumping teuer kommt: Mindestens 10 Millionen Mark Ausfälle allein im Vertrieb, rechnen Verlagsprofis aus. Zwar hat Springer genug Geld, doch leichtsinnigerweise hatte Fischer bei seinem Amtsantritt versprochen, dieses Jahr die Umsatzrendite zu verdoppeln. „Das war ja sehr langfristig gemeint“, beschwichtigt jetzt schon Zeitungsvorstand Larass.

Geld hat auch Berliner Zeitung- Besitzer G+J, eine Tochter des Bertelsmann-Konzerns. Und dazu mit Bernd Kundrun einen Zeitungsvorstand, der vom Bertelsmann-Club und Pay-TV Premiere her für seine Aggressivität bekannt ist. Der Springer-Kioskofferte folgen wollen indes weder G+J noch der Tagesspiegel, wie nun deren Geschäftsführer sagen.

Ohnehin wird es bald kaum lauter Groschenblätter auf deutschen Zeitungsmärkten geben: Nur in Berlin stehen drei der fünf größten deutschen Pressekonzerne gegeneinander. Und nur einer von ihnen könnte ein Problem mit solchen Kämpfen haben: Der Holtzbrinck- Verlag, dem der Tagesspiegel gehört, der im Kampf der beiden anderen ein wenig zwischen den Stühlen hängt.

„Berlin ist groß genug für drei Abonnementzeitungen“, beschwört noch Springer-Mann Larass, „es lebten doch alle gut.“ So brutal wie in London werde es nicht. Auf Dauer werde dem Preisdumping ein Qualitätsverlust folgen, fürchtet indes Tagesspiegel- Geschäftsführer Hans Homrighausen. Und einen „strategischen Trend“ sieht schon Medienwissenschaftler Axel Zerdick in der Entwicklung: „Abopreise runter, andere Erlöse erhöhen“.

Selbst britische Verhältnisse müssen zudem nicht den Zeitungstod bedeuten. Eine Untersuchung zweier Londoner Medienwirtschaftsexperten über die „Lehren aus dem Preiskrieg im Vereinigten Königreich“ kommt zu dem Schluß: Am Ende lasen sogar mehr Leute insgesamt Zeitung – auch die teuren Blätter profitierten am Ende vom Preisdumping. Lutz Meier